Köln – Anne Brorhilker mag es, unterschätzt zu werden. Gelegentlich werde sie in die Schublade „klein und harmlos“ gesteckt, sagte die Juristin der ARD in einem ihrer seltenen Interviews. In Vernehmungen habe ihr das schon mehrfach geholfen.
Tatsächlich ist die Kölner Oberstaatsanwältin eine der versiertesten und ausdauerndsten Ermittlerinnen des Landes – und mittlerweile auch eine der gefürchtetsten. Das Medienunternehmen Bloomberg führt Brorhilker auf seiner jüngst erschienenen Liste der weltweit einflussreichsten Personen des Jahres als einzige Deutsche auf.
Es würdigt damit ihre im Jahr 2013 begonnene Aufdeckungsarbeit im Cum-Ex-Skandal um mehrfach erstattete Steuern, der den Fiskus viele Milliarden Euro kostete. Im vergangenen Sommer erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) die Aktientauschgeschäfte für illegal. 2021, schreibt Bloomberg, sei für Brorhilker das Jahr des Durchbruchs im Cum-Ex-Skandal gewesen.
Mittlerweile ermittelt sie mit ihrer Abteilung gegen mehr als 1000 Personen. Zwei Londoner Aktienhändler wurden bereits 2020 verurteilt, dieses Urteil bestätigte der BGH im Sommer. Noch nicht rechtskräftig ist ein Urteil gegen den Generalbevollmächtigten der Hamburger Privatbank M.M. Warburg, der für fünfeinhalb Jahre ins Gefängnis soll.
Dass Brorhilker unterschätzt wird, ist inzwischen die Ausnahme. Die Angriffe werden schärfer. Kürzlich berichtete die „SZ“ von einem mehr als 100 Fragen umfassenden Katalog, den mehrere Anwälte, darunter der CSU-Politiker und Jurist Peter Gauweiler, an den Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss schickten. Die Fragen waren an Brorhilker gerichtet und zielten auf ihre Fachkompetenz ebenso ab wie auf ihre Medienpräsenz.
Unverblümt übte die Juristin dieser Tage Kritik am Umgang der Hamburger Steuerbehörden, die 2016 auf Steuernachforderungen in Höhe von fast 50 Millionen Euro gegen die Warburg-Bank verzichteten. Das setzt den Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) unter Druck, der früher Finanzsenator war, aber auch seinen Vorgänger als Rathauschef: Olaf Scholz.
Womöglich wird der neue Bundeskanzler im kommenden Jahr noch einmal dem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen müssen. MARC BEYER