München/Frankfurt – Ab dem neuen Jahr steht auch bei der Finanzierung von Unternehmen und Projekten die Nachhaltigkeit im Mittelpunkt. Welche Kriterien dafür gelten sollen, muss die EU-Kommission entscheiden. Umstrittenstes Thema dabei: Werden Atomkraft und Gas zumindest vorübergehend als Brückentechnologien akzeptiert? Erst im Januar will sich die EU dazu äußern.
Die Taxonomie soll helfen, Geldströme so zu lenken, dass die Klimaziele befördert werden. Zumindest darüber besteht politische Einigkeit. Auch die deutsche Finanzbranche betont, wie wichtig ihr das Thema Nachhaltigkeit im Kreditgeschäft und auch bei der Geldanlage ist. Und unterbreitet Anlegern immer mehr Angebote. Das dort allerdings nicht alles optimal ist, zeigen immer wieder Analysen kritischer Organisationen wie der Bürgerbewegung Finanzwende oder der Umweltorganisation Urgewald. Sie prangern in vielen Fällen Nachlässigkeiten an und monieren, dass immer noch Kredite an Öl- und Kohlefirmen vergeben und in Investmentfonds Papiere solcher Unternehmen enthalten sind. „Greenwashing“ lautet oft der Vorwurf.
Mit der EU-Taxonomie gibt es jetzt klare Kriterien für sechs Ziele: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltiger Einsatz und Gebrauch von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vorbeugung und Kontrolle von Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen. Sie legen Nachhaltigkeitsvorgaben für eine breite Palette von Wirtschaftsbereichen fest. Da geht es unter anderem darum, unter welchen Voraussetzungen die Herstellung von Stahl, Zement und anderen Baustoffen klimafreundlich ist oder einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Jedes Jahr müssen die Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen. Firmen, die bei ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zwar eines der Ziele im Auge haben, aber gegen andere verstoßen, gelten nicht als nachhaltig.
Die Taxonomie zielt auch auf die Finanzindustrie. Kreditinstitute, Fondsgesellschaften, Vermögensverwalter und Versicherungen müssen Auskunft darüber geben, welche Vermögensgegenstände und Kredite den Nachhaltigkeitsvorgaben entsprechen. Versicherungen müssen darlegen, welchen Anteil nachhaltige Tätigkeiten im Nicht-Lebensversicherungsgeschäft haben.
Einfach ist das alles freilich nicht unbedingt, sagt etwa Frank Pierschel, verantwortlich für Nachhaltige Finanzen bei der Bundesfinanzaufsicht BaFin. „Die Taxonomie stellt auf Tätigkeiten ab, nicht auf bestimmte Finanzinstrumente.“ Anders sei das nicht möglich. „Sind Aktien per se grün oder braun? Weder noch. Es kommt darauf an, was und wie die Aktiengesellschaft produziert. Und das kann sich bei anpassungsfähigen Unternehmen im Laufe der Jahre ja durchaus ändern.“
Für Investoren sei ein klarer Rahmen wichtig und dafür sei die Taxonomie geeignet, sagt Thomas Kusterer, Finanzchef des Energie-Versorgers EnBW. „Bei der konkreten Ausgestaltung gibt es allerdings ein paar Themen, da brauchen wir vielleicht etwas mehr Realitätsnähe.“ Damit meint er unter anderem das Thema Gas. Das sei eine nachhaltige Brückentechnologie. Die Vorgaben der Taxonomie sind, so Kusterer, viel zu streng.
Als nachhaltig würden da nur Anlagen eingestuft, die maximal 100 Gramm CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde emittieren. Das aber sei selbst mit modernsten Gaskraftwerken nicht machbar. Also müsste für eine Übergangszeit noch Erdgas eingesetzt werden, dann klimafreundlicheres Gas. Und erst, wenn genügend Volumen da sei, könne CO2-freier Wasserstoff genutzt werden.
Sven Giegold (Grüne), Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klima, hält dagegen. Die Glaubwürdigkeit der Taxonomie sei entscheidend für ihren Erfolg. „Fossiles Gas und Atomkraft haben in der Taxonomie nichts zu suchen. Atomkraft und fossiles Gas sind weder ökologisch noch ökonomisch nachhaltig.“
Damit sind die Konflikt-Linien vorgezeichnet. Frankreich hält mit Blick auf die Klimaziele „saubere“ Atomkraft für unverzichtbar. Das betont auch der französische EU-Kommissar Breton. Die Rettung des Klimas sei ohne Atomkraft nicht möglich. Dass die EU ohne Atomstrom CO2-neutral werden könne, sei eine Lüge. „Seien wir nicht naiv. Ohne Atomenergie als Übergangsenergie gibt es keinen Green Deal.“