München – Vor 45 Jahren gründete Eberhard Sasse den Reinigungsbetrieb Dr. Sasse AG. Heute erwirtschaftet das Münchner Unternehmen mit 6500 Beschäftigten einen Jahresumsatz von rund 250 Millionen Euro. Kerngeschäft ist das Pflegen, Reinigen und Instandhalten von Gebäuden und technischen Einrichtungen (Facility-Management). Neben Bürogebäuden zählen auch Flughäfen und Nahverkehrsbetriebe zu den Kunden. Am 1. Januar übernehmen die Töchter Clara Sasse (28) und Laura Sasse (32) die Führung des Betriebs. Wir sprachen mit den Geschwistern über den anstehenden Generationenwechsel.
Zum Jahreswechsel übernehmen Sie die Leitung der Dr. Sasse AG. Welche Ziele verfolgen Sie?
Clara Sasse: Unsere Aufgabe ist das Facility Management, also das Pflegen und Instandhalten von Gebäuden, Anlagen und technischen Einrichtungen. Unsere Kunden sind andere Unternehmen, sie wollen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Unser Ziel ist es daher, Umgebungen zu schaffen, in denen sich die Menschen wohlfühlen.
Was bedeutet das konkret?
Clara Sasse: Menschen in Büros beispielsweise fühlen sich wohl, wenn die Klimaanlage und die technischen Anlagen im Gebäude problemlos laufen. Außerdem müssen die Toiletten sauber und die Mülleimer geleert sein. Aber das Wichtigste: Wir sind und bleiben ein Familienunternehmen.
Das heißt?
Laura Sasse: Wir werden das Unternehmen nicht verkaufen, auch wenn die Konkurrenz dieses Gerücht bereits gestreut hat.
Wollen Sie sich externe Investoren an Bord holen, um schneller zu wachsen?
Laura Sasse: Nein. Als Familienunternehmen denken wir in Generationen, nicht in Quartalen. Von diesem Ansatz profitieren auch unsere Kunden.
Inwiefern?
Laura Sasse: Unser Unternehmen ist nicht nur im Besitz der Familie, alle Familienmitglieder arbeiten auch aktiv mit. Unser Vater scheidet zwar zum 1. Januar aus, er bleibt aber im Aufsichtsrat. Unsere Mutter ist Vorstand für Personal und Organisation, Clara für Marketing und Vertrieb, und ich bin für Finanzen und Digitales verantwortlich. Das einzige Nicht-Familienmitglied im Vorstand ist Katja Böhmer. Sie ist seit 20 Jahren an Bord und für das operative Geschäft verantwortlich. Für unsere Kunden hat diese Struktur den Vorteil kurzer Entscheidungswege.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Clara Sasse: In London haben wir einen Verkehrsbetrieb als Kunden, der die berühmten roten Doppeldeckerbusse betreibt. Nachts kommen die Busse ins Depot, werden von uns gereinigt, betankt und gewartet, damit sie morgens wieder rausfahren können. Die Muttergesellschaft des Busbetreibers hat ihren Sitz in Singapur. Jetzt hat uns der Kunde gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, auch in den Busdepots von Singapur unsere Leistungen zu erbringen. Wir können so etwas als Familie schnell entscheiden. Große Kapitalgesellschaften müssen hingegen eine ganze Reihe an internen Prozessen abfrühstücken. Wir sind ein Schnellboot, kein Ozeandampfer.
Mit welcher Strategie wollen Sie dieses „Schnellboot“ in Zukunft steuern? Noch mehr Expansion ins Ausland?
Clara Sasse: Wir verfolgen eine andere Wachstumsstrategie: Wir begleiten Kunden, die wir bereits haben, bei ihrer Expansion in neue Märkte – also auch ins Ausland. Laura Sasse: An sich ist das keine neue Strategie. Damit führen wir das fort, was wir in den vergangenen Jahren bereits gemacht haben. Insoweit wird es ab dem 1. Januar keinen harten Schnitt geben. Meinem Vater ist ja nicht erst vorgestern eingefallen, sich aus dem Unternehmen zurückzuziehen. Das ist ein Prozess, den wir jahrelang vorbereitet haben.
Vorbereitet dürften Sie auch deswegen sein, weil Sie beide schon als Reinigungskraft gejobbt haben.
Clara Sasse: Das stimmt. Wir haben beide während der Semesterferien innerhalb des Unternehmens gejobbt. Laura hat Toiletten am Flughafen München geputzt, ich habe Doppeldeckerbusse in London gereinigt.
Denken Sie, dass Ihnen diese Erfahrung in der Geschäftsleitung hilft?
Clara Sasse: Ja, ganz sicher. Wir wissen, dass das, was unsere Mitarbeitenden leisten, knochenharte Arbeit ist. Wenn man das einmal selbst gemacht hat, steigt natürlich die Wertschätzung.
Was mussten Sie damals konkret machen?
Clara Sasse: Ich habe in einem Londoner Busdepot mehrere Wochen lang in der Nachtschicht gearbeitet. Wenn die Doppeldecker nachts ins Depot kamen, hatten wir nur wenige Minuten Zeit für die Reinigung. Also Boden putzen, Sitze reinigen, Kaugummis entfernen und so weiter. Jeder kann sich vorstellen, dass man in einem Bus nachts um zwei auch ziemlich eklige Dinge sieht.
Wurden Sie nicht geschont, weil Sie die Tochter vom Chef sind?
Clara Sasse: Nein – und das wollte ich auch nicht. Ich hatte mit dem örtlichen Geschäftsführer besprochen, dass ich keine Sonderbehandlung möchte. Natürlich hat sich das trotzdem schnell herumgesprochen. Aber am Ende wurde ich behandelt wie jeder andere auch.
Wie war es am Flughafen München?
Laura Sasse: Etwas anders. Dort wurde ich erst einmal für die Reinigung der Vorstandsbüros eingeteilt und musste regelrecht Überzeugungsarbeit leisten, in den Toiletten eingesetzt zu werden – und zwar in den öffentlichen Toiletten. Jeder, der mit der S-Bahn am Flughafen ankommt, kann da rein. In der Frühschicht sind das teilweise schon sehr fordernde Begegnungen.
Was nehmen Sie mit aus dieser Zeit?
Laura Sasse: Dass viele Menschen Reinigungskräfte nicht wertschätzen. Man muss sich in diesem Job schon sehr abfällige Kommentare anhören, auch von Leuten, von denen man das auf den ersten Blick nicht erwartet hätte. Clara Sasse: Wer morgens in einen Bus einsteigt, denkt selten darüber nach, wie der Bus in der Nacht gereinigt und gewartet worden ist. Gleichzeitig erwartet jeder Fahrgast einen sauberen Bus. Und wenn Leuten auf der Fahrt der Milchshake auskippt, steigen sie an der nächsten Haltestelle einfach wieder aus, in der Hoffnung, dass irgendjemand sauber macht. Diese Haltung ist ein gesellschaftliches Problem.
Was heißt das für Sie als Unternehmen?
Laura Sasse: Unsere Beschäftigten verdienen Wertschätzung für ihre Arbeit. Dazu müssen wir auch das Gespräch mit der Politik suchen.
Mit welchem Ziel?
Laura Sasse: Obwohl im Niedriglohnsektor hart gearbeitet wird, fehlt die notwendige Wertschätzung der Gesellschaft. Die Menschen müssen von ihrem Lohn Sozialabgaben abführen – und am Ende trotzdem beim Sozialamt eine Aufstockung beantragen. Für die Betroffenen ist das eine echte Demütigung. Clara Sasse: Psychologisch besser wäre: Der Staat zieht die Sozialabgaben gar nicht erst ab und erspart den Menschen den Gang aufs Amt. Unterm Strich ist das eine Nullsummenrechnung. Aber die Menschen hätten wieder das Gefühl, von ihrer eigenen Hände Arbeit leben zu können.
Stehen Sie nicht auch selbst in der Pflicht, die Reinigungskräfte besser zu bezahlen?
Laura Sasse: Unsere Branche hat schon vor der Einführung des flächendeckenden Mindestlohns einen Branchenmindestlohn im Jahre 2007 eingeführt, unser Vater hatte sich dafür immer eingesetzt. Darin ist mit den Tarifverhandlungen im Jahr 2019 für 2023 ein Mindestlohn von zwölf Euro festgelegt worden – lange vor dem Wahlversprechen von Olaf Scholz. Gleichzeitig ist es unrealistisch, dass wir alle Mehrkosten zur Gänze an unsere Kunden weitergeben können.
Wie reagieren Sie auf den Kostendruck?
Clara Sasse: Wir versuchen effizienter zu werden – etwa durch neue digitale Möglichkeiten.
Digitalisierung im Reinigungsgeschäft?
Clara Sasse: Ein Beispiel: Bei der Reinigung von Büros hat man früher einfach stur ein Leistungsverzeichnis abgearbeitet. Montags, mittwochs und freitags die Konferenzräume.
Und heute?
Laura Sasse: Wir verbauen in Konferenzräumen Sensoren, die dem System melden, wann und ob ein Raum belegt ist. Ist das der Fall, schickt das System der Reinigungskraft eine Meldung aufs Handy. Auch an Flughäfen setzen wir solche Sensoren ein.
Interview: Sebastian Hölzle