München – Es ist ein Streit, bei dem die Kritik bislang nur von einer Seite kam. Um das Klima zu schützen, will die EU neben der Atomkraft auch neue Gaskraftwerke für nachhaltig erklären. Das treibt Grüne und Umweltverbände auf die Barrikaden. Zumindest was neue Gaskraftwerke angeht, ist die Furcht vor größerem Neubau aber unbegründet, sagen jetzt Lobbyisten der Gasindustrie, aber auch Betreiber von Gaskraftwerken und Finanzinvestoren. Denn die Taxonomie genannte EU-Klassifizierung für nachhaltige Gaskraftwerke unterliege Kriterien, die praktisch unerfüllbar sind.
„Die Regeln sind extrem streng, die Hürden extrem hoch, wir verstricken uns in Kriterien“, warnt der Chef von Uniper Energy Sales, Gundolf Schweppe. Das ist der Verkaufsarm der auf konventionelle Stromerzeugung fixierten Eon-Abspaltung Uniper, die hierzuland Gas- und Kohlekraftwerke betreibt.
Sieben Kriterien habe die EU in ihren Taxonomieregeln an den Neubau von Gaskraftwerken geknüpft, die alle zugleich erfüllt werden müssten, erklärt der Gas-Manager. Das mache sie schier unerfüllbar, was an sich finanzierungswillige Investoren abschrecken werde. Bleibe alles so wie es ist, würden kaum neue Gaskraftwerke in der EU gebaut.
Henrik Pontzen sieht das ähnlich. Er ist Nachhaltigkeitsexperte der Fondsgesellschaft Union Investment. „So detailliert kann man es nicht machen“, kritisiert auch er die EU-Taxonomieregeln. Statt Planungssicherheit würden sie Fragezeichen schaffen, die Fondsgesellschaften und andere Großanleger von einem Investment abschrecken. Ein Killerkriterium seien Verpflichtungen zur Beimischung von Wasserstoff beim Betrieb neuer Gaskraftwerke, erklärt der Vorstand des Gasverbands Zukunft Gas, Timm Kehler. Die Idee hinter diesem Taxonomiekriterium ist, das speziell aus erneuerbaren Energien hergestellter grüner Wasserstoff die Klimabilanz von Gaskraftwerken verbessert. Die EU will neue Anlagen deshalb an die Verpflichtung binden, sie ab 2026 zu 30 Prozent mit Wasserstoff und nur noch zu 70 Prozent mit fossilem Erdgas zu betreiben. In Folgejahren soll die Wasserstoffquote in Stufen auf 100 Prozent steigen. Große Mengen grünen Wasserstoffs würden nötig, um den parallel auch noch andere Industrien wie die Stahlbranche ringen.
Aus Deutschland allein können diese Volumina nicht kommen, sind sich Experten einig. „Aber wir haben noch keine Importverträge für grünen oder blauen Wasserstoff“, wirft Schweppe ein. Blau wird Wasserstoff genannt, wenn er zwar fossil gewonnen wird, aber dabei entstehende Klimagase unterirdisch gelagert werden und so nicht in die Atmosphäre gelangen. Das Versorgungsrisiko hinsichtlich Wasserstoffimporten würde damit potenziellen Gaskraftwerksinvestoren auferlegt, argumentiert Schweppe. Das allein mache die Sache schon so gut wie unkalkulierbar. Dazu kämen noch weitere EU-Kritierien. So dürften neue Gaskraftwerke nur unmittelbar an Standorten entstehen, wo sie zum Beispiel Kohlekraftwerke ersetzen. „Der optimale Standort für ein Kohlekraftwerk ist aber nicht unbedingt optimal für ein Gaskraftwerk, etwa wenn es dort keinen Anschluss an das Gasnetz gibt“, erklärt der Uniper-Manager.
Die EU-Pläne würden binnen weniger Jahre den Neubau von mehr als 20 neuen Gaskraftwerken als Übergangstechnologie für die Energiewende erfordern, haben die Vertreter der Gaswirtschaft berechnet. „Das entspricht einem Investitionsvolumen von 30 Milliarden Euro“, sagt Kehler. Solche Summen seien beim in der Taxonomie enthalten Risikopotenzial nicht mobilisierbar. Jedenfalls gelte das, solange klimaschädliche Kohlekraft durch Gas ersetzt wird.
„Atomkraft ist nicht so komplex reglementiert“, sagt Schweppe. Kohle drohe in der EU deshalb vor allem durch Atomstrom ersetzt zu werden, fürchtet die Gaswirtschaft. Das komme vor allem der französischen Atomindustrie zugute, während deutsche Gaskraftwerksbauer und Anlagenbetreiber das Nachsehen hätten.