Börsenjahr 2022: Eine Frage der Psyche

von Redaktion

VON GERD HÜBNER

München – Die Liste der Sorgen, die die Kapitalteilnehmer derzeit umtreibt, ist beeindruckend lang. Zur rasant ansteigenden Inflationsrate, Lieferengpässen, die ganze Branchen lahmlegten, geopolitischen Risiken und sich abschwächenden Konjunkturdaten kommt noch die neue Corona-Variante Omikron. Für das kommende Jahr scheinen das auf den ersten Blick keine guten Voraussetzungen zu sein. Doch ganz so pessimistisch fallen die Erwartungen für 2022 gar nicht aus.

Die Volkswirte des Bankhauses Lampe zum Beispiel gehen davon aus, dass die Weltwirtschaft im kommenden Jahr – nach einem Plus von 5,8 Prozent in 2021 – mit einer Rate von immerhin 4,1 Prozent wachsen wird. Für die Euro-Zone erwarten sie einen Zuwachs von vier Prozent, für Deutschland von 4,2 Prozent. Zudem soll der Inflationsanstieg nachlassen, wobei die Schätzungen hier von um die zwei bis etwa drei Prozent für Deutschland für das kommende Jahr reichen. „Soweit es die Geldpolitik betrifft, dürfte die US-Notenbank Fed die Zinsen in diesem Umfeld in vorsichtigen kleinen Schritten erhöhen, während sich die EZB noch zurückhalten wird“, erklärt Burkhard Wagner, Vorstand der Partners Vermögensmanagement AG. Die Notenbanken bleiben also unterstützend, auch weil viele Staaten stark verschuldet sind. Die Ökonomen der Privatbank MM Warburg gehen zudem davon aus, dass die Probleme in den Lieferketten im Verlauf des kommenden Jahres abebben, sodass die Produktion wieder anzieht.

Auch wenn der Deutsche Aktienindex Dax 2021 bis kurz vor Jahresende rund 16,5 Prozent zulegen konnte, die meisten Marktbeobachter sehen auch für das neue Jahr noch Potenzial. Die Volkswirte von MM Warburg erwarten bis Ende 2022 einen Anstieg auf etwa 18 000 Punkte. Das wäre nochmals ein Plus von fast 13 Prozent. Denn, so die Begründung, der Dax sei mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 14 auf Basis der in einem Jahr erwarteten Gewinne derzeit niedriger bewertet als viele andere Börsenindizes. Außerdem sind viele Dax-Mitglieder zyklische Firmen, die von einem wirtschaftlichen Aufschwung besonders profitieren. Zuversichtlich sind die meisten Experten auch für die internationalen Aktienmärkte. Und das gilt auch für den amerikanischen Markt, obwohl sich dieser in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich gut entwickelt hat. So dürften die Aktienkurse dort auch im kommenden Jahr unter anderem von umfangreichen Aktienrückkaufprogrammen der US-Unternehmen profitieren.

Im Vergleich zu Zinsanlagen, die angesichts der anhaltend expansiven Geldpolitik weiter kaum Erträge abwerfen dürften, erscheint die Aktienanlage also erneut deutlich lukrativer. So bringt das Sparbuch laut dem Statistikportal Statista derzeit im Durchschnitt gerade 0,1 Prozent. Selbst mit einer Inflationsrate von nur zwei Prozent ergibt sich daraus ein realer Wertverlust von 1,9 Prozent auf das angesparte Vermögen pro Jahr. „Aktien bleiben deshalb alternativlos“, ist Wagner überzeugt.

Umsonst sind die Chancen, die diese Anlageklasse langfristig bietet, mit Blick auf das kommende Jahr aber nicht zu haben. „Das größte Risiko für langfristig orientierte Anleger ist wohl die Psyche, die unter zu erwartenden Kursschwankungen leiden kann“, sagt Wagner. Wie schon in 2021 dürfte es auch im neuen Jahr zu zwischenzeitlich kräftigen Kursverlusten kommen. Weitere Risiken bestehen im Hinblick auf die Entwicklung der Corona-Pandemie sowie der Inflation. Sollte sich Letztere nicht abschwächen, könnten die Notenbanken die Zinsen schneller erhöhen als bislang angenommen. Doch selbst in diesem Fall würden die Sparzinsen nicht über die Inflationsrate hinaus ansteigen.

„Vermutlich werden die Kapitalmärkte den größten Teil der 2020er-Jahre unter dem Leitstern eines negativen Realzinses stehen“, folgert Ulrich Kater, Chef-Volkswirt der Deka. Insbesondere Anleger, die mit starken zwischenzeitlichen Kursverlusten nicht gut umgehen können, sollten aber keinesfalls nur auf Aktien setzen, sondern ihr Portfolio breit diversifizieren. Wagner hält hier eine Gold-Position für empfehlenswert. „Eine kleine Beimischung des Edelmetalls kann zur Stabilisierung eines Portfolios beitragen“, sagt er.

Daneben kommen Immobilien oder vergleichbare Sachwerte, die einen gewissen Schutz gegen eine anhaltend hohe Inflationsrate bieten können, in Betracht. Manche Anlageprofis empfehlen auch inflationsindexierte Anleihen, bei denen der Kupon und der Nennwert an den Verbraucherpreisindex gekoppelt sind. Basis eines Anlegerportfolios sollten aber auch 2022 Aktien bleiben.

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