„Supertanker EZB ändert langsam den Kurs“

von Redaktion

VON ROLF OBERTREIS

Frankfurt – Trotz einer rekordhohen Inflationsrate von 5,1 Prozent in der Eurozone im Januar: Die Europäische Zentralbank (EZB) hält weiter am Leitzins von null und dem negativen Einlagezins von minus 0,5 Prozent fest. Auch die Anleihekäufe werden fortgesetzt, allein das Corona-Krisen-Anleihe-Programm PEPP wird die EZB Ende März einstellen, dafür aber das monatliche Volumen anderer Anleihekäufe erhöhen. Und das Geld aus fälligen Anleihen wird weiter für Käufe neuer Papiere genutzt.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde räumte am Donnerstag nach der Sitzung des Rates aber ein, dass die Inflation im Dezember und Januar unerwartet hoch ausgefallen sei. Im März werde man die Situation auf der Basis neuer Daten neu bewerten und dann möglicherweise Entscheidungen treffen. Wie die ausfallen könnten, ließ sie offen. Aber offenbar schließt sie eine Zinsanhebung in diesem Jahr nicht mehr ganz aus.

Im Gegensatz zu ihrer Stellungnahme im Dezember, äußerte sich Lagarde mit keinem Wort zu möglichen Zinserhöhungen in diesem Jahr oder im nächsten Jahr. Sie werde sich an keinen Spekulationen beteiligen. Erst müssen nach Ansicht der Französin mehr Daten auf dem Tisch liegen, was frühestens im März passieren dürfte. Im Dezember hatte sie eine Leitzinserhöhung im Jahr 2022 als „sehr unwahrscheinlich“ bezeichnet. Über mögliche Entscheidungen des EZB-Rates auf der nächsten Sitzung am 10. März wolle sie nicht spekulieren.

Lagarde betonte, die EZB werde weiter flexibel agieren und ihre geldpolitischen Instrumente gegebenenfalls anpassen. Die Wirtschaft müsse weiter durch die Geldpolitik unterstützt werden. „Angesichts der derzeitigen Unsicherheit, brauchen wir mehr denn je Flexibilität und Optionen für die Geldpolitik“.

„Die Inflation ist in den letzten Monaten stark gestiegen und sie hat im Januar in der Entwicklung nach oben überrascht“, räumte die EZB-Präsidentin ein. Die Hälfte des Anstiegs sei auf die Energiepreise zurückzuführen. Dies würde auch die Preise in anderen Bereichen treiben. Generell seien die Preise auf breiterer Basis gestiegen. Es sei damit zu rechnen, dass die Inflation länger als bislang erwartet hoch bleibe, sich aber im Laufe des Jahres zurückbilde. Allerdings ist die Unsicherheit, so Lagarde, über die weitere Entwicklung unter anderem auch wegen der Lieferengpässe hoch. „Es gibt Anzeichen, dass sich diese Engpässe langsam zurückbilden, aber sie bleiben noch für einige Zeit.“

Auf Nachfrage ließ sie offen, ob die Schätzungen der EZB-Experten von Mitte Dezember mittlerweile Makulatur seien. Danach sollte die Inflationsrate in der Eurozone in diesem Jahr im Durchschnitt bei 3,2 Prozent liegen bevor sie 2023 auf 1,8 Prozent zurückgehen werde. Damit läge sie dann unter dem Ziel der EZB von zwei Prozent.

Ökonomen und Vertreter der Banken überzogen die EZB zum Teil mit scharfer Kritik. „Die EZB-Politik bleibt unangemessen expansiv“, sagte Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes. „Die EZB erkennt den Ernst der Lage nicht“. Das Risiko, dass die Notenbank noch in diesem Jahr abrupt umsteuern müsse, sei erheblich gestiegen.

„Endlich Bewegung“, erkennt dagegen Jörg Krämer, Chef-Volkswirt der Commerzbank. „Vermutlich im März wird die EZB eine Straffung ihrer Geldpolitik in Gang setzen“. Zunächst über die Einstellung der Anleihekäufe bis Ende September. Danach erwartet Krämer im September und November zwei Erhöhungen des Einlagezinssatzes um jeweils 0,25 Prozentpunkte, sodass er am Jahresende bei null liegen würde.

Auch Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg erklärte, Lagarde habe ihre Absage an Zinserhöhungen im Jahr 2022 relativiert. Sie habe diese insofern eingeschränkt, als „dass dies von den Daten abhänge, überstürzen wolle man nichts“. Der „Supertanker EZB“ ändere „langsam seinen Kurs“, urteilte Niklasch.

Artikel 4 von 6