Gas: Gibt es Alternativen zu Russland?

von Redaktion

INTERVIEW: Energieexpertin Katharina Stecker zu verflüssigtem Erdgas

München – Die Gasspeicher leeren sich. Der Nachschub aus Russland stockt. Wie abhängig ist Deutschland von diesen Lieferungen? Gibt es Alternativen und welche Rolle könnte flüssiges Erdgas (LNG) spielen? Wir sprachen mit Katharina Stecker, Abteilungsleiterin Vertrieb, Versorgungssicherheit und gasspezifische Fragen beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).

Im Zuge der Energiekrise sprechen viele Experten von LNG. Worum handelt es sich genau?

LNG, also Liquified Natural Gas, ist Erdgas, das auf -162˚ Celsius heruntergekühlt wird und dann im flüssigen Zustand nur noch ein Sechshundertstel seines ursprünglichen Volumens aufweist. Deswegen kann es in Tankschiffen transportiert werden. Diese landen das Gas an europäischen Terminals an, wo es wieder auf Normaltemperatur gebracht und in das normale Gasnetz gepumpt wird.

Was sind denn die wichtigsten Förderländer?

Große weltweite LNG-Exporteure sind z. B. Katar, Australien und die USA. Die Schwerpunkte der Nutzung liegen in Ostasien. Auch die europäischen Importe haben in den letzten Jahren deutlich zugelegt. Außerdem sind in zahlreichen europäischen Großhäfen LNG-Terminals zur Aufnahme und Rückumwandlung entstanden.

Welche Rolle spielt LNG am Weltmarkt?

LNG ist vor allem in Asien gefragt, weil diese Länder eine hohe Energienachfrage haben und zudem viele Bereiche von Kohle auf Gas umstellen. Dazu kommen Nachholeffekte, weil die Wirtschaft nach Corona wieder nach mehr Energie verlangt. In Zahlen: Auf Ostasien werden bis 2024 ganze 77 Prozent der globalen LNG-Lieferungen entfallen, etwa 30 Prozent auf China. Ein weiterer großer Importeur ist übrigens die wachsende Volkswirtschaft in Brasilien. In Europa, besonders in Deutschland, werden wir hauptsächlich mit Pipelinegas, etwa aus Russland, Norwegen oder den Niederlanden, versorgt. Da der Bedarf aber in Europa auch steigt und Erdgas nicht mehr nur über Pipelines zu uns transportiert wird, trägt LNG zu einer weiteren Diversifizierung und Flexibilisierung der Importquellen für Erdgas in Europa und in Deutschland bei. Mit seiner logistischen Flexibilität sorgt LNG auch für eine Stärkung der weltweiten Versorgungssicherheit.

Im Zuge der Ukraine-Krise fürchten Experten, dass Deutschland vom russischen Gas abgeschnitten werden könnte. Was würde das bedeuten?

Das ist ein Szenario, wie wir es bisher in Deutschland nicht erlebt haben. Russland ist ein bedeutender Lieferant, allein die Hälfte des europäischen Gases stammt von dort. Würden die Lieferungen von einem Tag auf den anderen ausfallen, wäre das keine alltägliche Situation mehr. Aber es würden sofort die europäischen Regelungen zur Versorgungssicherheit greifen und man würde prüfen: Welche Alternativen gibt es? Wo gibt es noch Mengen in Speichern? Wer könnte zusätzliche Mengen liefern? Wo kann reduziert werden? In jedem Fall sind Haushaltskunden und verschiedene Einrichtungen durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt.

Ist mit zusätzlichen Mengen das LNG aus den USA und Katar gemeint?

Ja, aber nicht nur. Auch bei anderen Lieferanten steht die Frage an, welche Mengen bereits vertraglich gebunden sind. Aber es gibt zusätzliche Fördermöglichkeiten. Die derzeit größten LNG-Anbieter sind Katar, Australien und auch die USA. Insbesondere dort sind viele Produzenten in der Lage, ihre Angebotsmenge kurzfristig auszuweiten, um auf Nachfrageschwankungen zu reagieren. Die Vereinigten Staaten wollen ihre LNG-Produktion zwischen 2020 und 2024 um 86 Prozent, also 55 Milliarden Kubikmeter, steigern. Denn besonders der asiatische Markt wächst rasant: Zwischen 2020 und 2024 wird sich die Nachfrage um über ein Viertel erhöhen, das sind um die 89 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Zur Einordnung: Laut der Internationalen Energieagentur wird der gesamte Welthandel von LNG 2024 bei 560 Milliarden Kubikmetern liegen.

Also sind wir doch von Russland abhängig?

Russland ist ein Hauptlieferant für Erdgas, aber auch ein großer Lieferant für LNG. Deutschland bezieht Erdgas kontinuierlich aus zahlreichen unterschiedlichen Lieferländern wie Norwegen, Russland, Niederlande oder auch aus eigener deutscher Förderung. Auch nordafrikanische Länder sowie Länder im Nahen Osten fördern Erdgas und exportieren es nach Europa. Aber für jeden Markt gilt, Diversifizierung macht den Markt robuster. Das hat auch die EU-Kommission erkannt. Ein zentrales Ziel der Energieunion der EU besteht daher darin, sicherzustellen, dass alle Mitgliedstaaten Zugang zu Flüssiggasmärkten und diversifizierten Versorgungsquellen erhalten. LNG kann aus einer Vielzahl unterschiedlicher Herkunftsländer in aller Welt geliefert werden. Nach Aussage der EU-Kommission ermöglicht das der EU eine stärkere Diversifizierung ihrer Gasversorgungsquellen und damit auch eine erhebliche Verbesserung der Energieversorgungssicherheit. Gegenwärtig sind die westeuropäischen Länder, die Zugang zu LNG-Einfuhrterminals und zu liquiden Gasmärkten haben, weitaus widerstandsfähiger gegenüber möglichen Versorgungsunterbrechungen als Länder, die von einem einzigen Gaslieferanten abhängig sind.

Reicht die bisherige Infrastruktur dafür?

Europa besitzt verschiedene LNG Terminals, die geografisch gut verteilt sind. Deutschland hat zwar keine eigenen LNG-Terminals, kann aber über den Markt in den Niederlanden und über das europäische Gasnetz kurzfristig mit LNG beliefert werden. Trotz der gestiegenen europäischen Nachfrage sind die Kapazitäten der europäischen LNG-Terminals noch nicht ausgelastet. Deutschland muss für mehr Mengen aber mit anderen Teilnehmern auf dem Weltmarkt konkurrieren. Auch in Europa steigt der Anteil an LNG-Lieferungen, da sich aufgrund der gestiegenen Preise für Erdgas das Preisniveau mit den in Asien gezahlten Preisen für LNG angleicht. Das führt zu Verlagerungen von Lieferungen nach Europa. Ein resilientes Energiesystem baut auf verschiedenen Energieträgern auf. Portfolien, die Anteile aus Lang- und Kurzfristverträgen haben, können kurzfristige und vor allem unvorhersehbare Marktentwicklungen meist gut abfangen.

Interview: Mathias Schneider

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