Die wahren Ursachen der hohen Inflation

von Redaktion

VON JÖRG KRÄMER

Die Menschen sorgen sich wegen der hohen Inflation. Viele verlangen, dass die Politiker etwas dagegen tun sollen. Der Finanzminister will nun die Stromabgabe zur Förderung der erneuerbaren Energien (EEG) früher abschaffen. Das ist grundsätzlich richtig, weil die Menschen beim Autofahren oder beim Heizen auf Elektrizität umsteigen sollen. Aber die Abschaffung der EEG-Umlage wird die Inflation allenfalls um 0,3 Prozentpunkte senken. Das wird die Wende bei der Inflation ebenso wenig bringen wie die staatlich verordnete Deckelung der Strompreise in Frankreich.

In der aufgeheizten Atmosphäre kommt es darauf an, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich klar zu werden über die Ursachen der Inflation: Die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung haben dazu geführt, dass Hotels, Gaststätten, Restaurants, Kulturveranstalter, Fitnessstudios etc. ihre Dienstleistungen einschränken und phasenweise einstellen mussten. Auch viele Industrieunternehmen konnten in der ersten Corona-Welle nicht arbeiten. Jetzt fehlen ihnen häufig Vorprodukte, weil China Fabriken und sogar Häfen bei kleinsten Corona-Ausbrüchen schließt.

Das Angebot an Waren und Dienstleistungen ist gesunken. Aber die Nachfrage blieb in vielen Ländern stabil oder zog wie in den USA sogar an, weil die Regierung großzügige Hilfen auszahlte und beispielsweise das Arbeitslosengeld phasenweise um 2400 Dollar je Monat aufstockte. Eine gestiegene Nachfrage stieß auf ein geschrumpftes Angebot – kein Wunder, dass die Preise auf breiter Front steigen.

Um dieses inflationstreibende Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot zu beseitigen, sollte die Bundesregierung alle Spielräume nutzen, um die Corona-Beschränkungen zu lockern. Wenn sie möglichst alle Menschen wieder arbeiten lässt, steigt insbesondere das Angebot der Dienstleister. Die Menschen könnten ihr Geld dann wieder ungehindert für Freizeit und Urlaub ausgeben. Sie würden mit ihrer Kaufkraft nicht mehr in großem Stil auf Waren ausweichen und deren Preise nach oben treiben.

Aber damit ist es nicht getan. Es wird dauern, bis sich die Materialengpässe entspannen und die Inflation wieder Richtung zwei Prozent fällt, zumal China noch lange an seiner schädlichen Null-Corona-Politik festhalten dürfte.

Aber je länger die Inflation hoch bleibt, desto mehr steigen die Inflationserwartungen der Menschen. Die Gewerkschaften werden das bei ihren Lohnforderungen berücksichtigen und höhere Lohnsteigerungen als Ausgleich für die erlittenen Kaufkraftverluste durchsetzen. Die stärker steigenden Arbeitskosten werden die Unternehmen in Form höherer Preise an die Konsumenten weitergeben. Es droht eine Lohn-Preis-Spirale.

Hier kommt die Europäische Zentralbank ins Spiel. Sie muss handeln, damit die durch Corona angestoßene Inflation wieder runterkommt. Sie darf mit ihren Minuszinsen nicht weiter die Wirtschaft anfachen, die in Ländern wie Deutschland bereits unter Arbeitskräftemangel leidet. Sie darf nicht länger Staatsanleihen kaufen und so die hohen Ausgaben der Staaten finanzieren, die die Nachfrage zusätzlich anschieben.

Die EZB hat zuletzt in Aussicht gestellt, umzusteuern. Die Anleger erwarten mittlerweile zwei Zinsanhebungen zu je 0,25 Prozentpunkte. Der EZB-Einlagensatz wäre dann am Jahresende nicht mehr negativ. Aber das dürfte nicht reichen. Vielmehr muss die EZB auf eine neutrale Geldpolitik umschwenken, die sicherlich nicht bereits bei einem Leitzins von null Prozent erreicht wäre.

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