München – Lieferengpässe, Wirtschaftsförderungen, wiedererstarkende Konjunktur: Die Folgen der Pandemie haben die Inflation Ende 2021 fast auf ein 30-Jahres-Hoch von 5,3 Prozent getrieben. Doch während vergangenes Jahr vor allem die Preise für Strom und Erdgas für die steigende Teuerung verantwortlich waren, könnten 2022 die Kosten für Lebensmittel die Verbraucher am meisten belasten. Timo Wollmershäuser, Konjunkturchef des Müncher Ifo-Instituts, erklärt: „Die Verbraucherpreise für Lebensmittel dürften dieses Jahr sieben Prozent höher liegen, als 2021.“
Wollmershäuser bezieht für seine Prognose die gestiegenen Weltmarktpreise für Nahrungs- und Genussmittel auf den deutschen Markt: „Nach unseren Umfragen planen in den kommenden Monaten mehr als zwei Drittel der Nahrungsmittelhersteller weitere Preisanhebungen“. Ursache für das Marktgeschehen sind unter anderem die gestiegenen Erzeugerpreise, erklärt Jörg-Simon Immerz, der Leitende Händler für Agrarerzeugnisse bei der BayWa AG: „Es beginnt schon beim Dünger, den man etwa für den Anbau von Getreide dringend braucht. Hier haben sich die Preise seit dem Frühjahr 2021 mehr als verdoppelt.“
Denn die Erzeugung von Stickstoffdünger ist energieintensiv – und Energie ist teuer. „Dazu kam der durchwachsene Sommer, der auf der ganzen Nordhalbkugel die Erträge in den letzten Wochen vor der Ernte dezimiert hat“, so Immerz. Denn die Märkte für Trockengüter wie Weizen, Mais und Soja sind global. Dazu kommen pandemiebedingt höhere Frachtkosten: „Insgesamt kostet Weizen an der Pariser Börse Matif rund 30 Prozent mehr als noch im Juli 2021“, sagt Immerz.
Dass die unterdurchschnittliche Ernte so ins Gewicht fällt, hängt auch mit den geringen Vorräten zusammen: „Wir haben in Deutschland nur etwa zehn Prozent unseres Bedarfs an Weizen auf Vorrat, der Rest hängt an den aktuellen Ernten“, erklärt Immerz.
Deshalb sind die Preissprünge in Deutschland umso gravierender: „Die Mühlen müssen das Getreide aktuell mit bis zu 60 Prozent Aufschlag im Vergleich zum Vorjahr kaufen“, sagt Immerz.
Eine Entspannung der Lage könne nur ein größeres Angebot bringen: „Wir rechnen derzeit mit einer durchschnittlichen Ernte,in diesem Jahr. Alleine die kommende Ernte wird deshalb die Situation nicht nachhaltig entspannen.“
Sorgen macht dem Handelschef vor allem die angespannte Lage in der Ukraine: „Etwa 30 Prozent der globalen Weizenproduktion kommen aus Russland und der Ukraine. Wenn die Situation eskaliert und die Lieferungen abgeschnitten werden, stehen wir vor einer großen Herausforderung.“
Das betreffe vorwiegend die Preise: „Deutschland ist Nettoexporteur von hochwertigem Weizen, der wird uns nicht ausgehen.“ Das Problem sei der Weltmarkt: „Länder in Nordafrika oder Arabien sind große Importeure. Falls die Schwarzmeerregion nicht mehr liefert, wird das aufgrund des knappen Angebots auch die Preise in Deutschland treiben.“
Neben dem Getreide stehen auch wichtige Futtermittel wie Mais und Soja unter Druck (siehe Grafik). Auch hier treibt vor allem die Nachfrage den Preis: „Durch die wachsende Weltbevölkerung brauchen wir eigentlich jedes Jahr eine Rekordernte – und 2021 haben wir das nicht geschafft“, erläutert Immerz. Das gelte auch für den global wichtigsten Eiweißträger, die Sojabohne: „In Südamerika ist gerade Erntesaison – aber wegen der trockenen und heißen letzten Wochen wird sie unter den Erwartungen bleiben.“ Besonders gravierend ist der Anstieg derzeit bei Ölpflanzen wie den Raps. Dieser wird aber primär für Biodiesel verwendet.
Moderater sind die Preissteigerungen bei Gütern, die nicht unbedingt am Weltmarkt gehandelt werden, erklärt Judith Dittrich vom Marktbeobachtungsinstitut Ami: „Gemüse ist 2021 um 4 Prozent teurer geworden, Rindfleisch um drei Prozent, Obst blieb relativ konstant.“ Einziger großer Ausriss sind 11 Prozent Aufschlag bei den Eiern, „weil das Töten der männlichen Küken zum 1. Januar 2022 verboten wurde“.
Für das laufende Jahr gilt: „Wie sich die Preise für Obst und Gemüse entwickeln hängt hauptsächlich davon ab, wie die Ernte dieses Jahr wird.“ Dennoch spielt der Weltmarkt eine Rolle: „Bei den Preisen für Fleisch und Eier spielen Weltmarktgüter wie Futtermittel oder Energie eine wichtige Rolle“, so Dittrich.
Unterm Strich kommt Verbrauchern jedoch zugute, dass seit Jahrzehnten ein immer kleinerer Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel bei den Landwirten ankommt, wie die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung ermittelt hat: Demnach verdiente ein Bauer 1970 an einem Brot noch 19 Prozent – 2020 waren es vier. Beim Fleisch veränderten sich die Anteile von 44 Prozent auf 21 Prozent, bei den Eiern von 85 Prozent auf 41 Prozent.
Dementsprechend schlagen die höheren Erzeugerpreise nur zu einem geringeren Anteil auf die Verbraucher durch.