Höhere Zinsen für Sparanlagen nicht in Sicht

von Redaktion

Frankfurt – Hohe Energiepreise, die Krise in der Ukraine und die zögerliche Zins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) sorgen für Unsicherheit bei Unternehmen und Verbrauchern. Jan Holt-husen erklärt, welche Entwicklungen im laufenden Jahr zu erwarten sind. Der 58-Jährige ist seit Anfang 2021 der Leiter der Abteilung Research und Volkswirtschaft bei der DZ Bank, dem Spitzeninstitut der gut 800 Volks- und Raiffeisenbanken in Deutschland.

Die Lage in der Ukraine ist höchst kritisch. Was bedeutet das für die Finanzmärkte?

Die Talfahrt an der Börse ist eine normale Reaktion angesichts der deutlich gestiegenen Gefahr eines militärischen Konflikts. Die Sorgen nehmen zu, und sie werden mindestens so lange anhalten, bis klar ist, was dort passiert. Weitere deutliche Rücksetzer können nicht ausgeschlossen werden.

Das dürfte auch Folgen für den Ölpreis haben.

Die gibt es ja schon. Das gilt auch für den Gaspreis. Die Unsicherheit bleibt hoch, eine weitere Verteuerung ist kurzfristig nicht unwahrscheinlich.

Das berührt indirekt auch die EZB. Wie wahrscheinlich sind Zinsschritte in diesem Jahr?

Die Krise um Russland und die Ukraine verkompliziert die Lage auch für die EZB weiter. Wenn es dort zu einem militärischen Konflikt käme, wäre die Notenbank mit restriktiveren Maßnahmen in der Geldpolitik wegen der Auswirkungen auf die Wirtschaft eher zurückhaltend. Wenn es halbwegs friedlich beigelegt wird, wird ein Zinsschritt in diesem Jahr deutlich wahrscheinlicher – wegen der hohen Inflation und der Signale aus der Ratssitzung vor zwei Wochen. Maßnahmen, die weit weg schienen, sind deutlich näher gerückt.

Wenn ja, wann passiert etwas?

Bis zum Sommer wird es keine Zinsschritte geben, weil die EZB zunächst ihre Anleihekäufe einstellen will. Erst dann denkt sie an Zinsveränderungen.

Welche Zinsen wird die EZB anheben? Den klassischen Leitzins oder den mit minus 0,5 Prozent negativen Einlagezins, den Banken zahlen müssen?

Es geht zunächst um den Einlagezins. Es ist unnormal, dass der Einlage- und der Leitzins so auseinanderklaffen wie derzeit mit minus 0,5 und null Prozent. Wir erwarten zwei kleine Schritte von plus 0,1 und 0,15 Prozentpunkten, sodass der Einlagesatz Ende 2022 bei minus 0,25 Prozent liegen sollte. Einen höheren Leitzins erwarten wir dann für 2023. Die Finanzmärkte blicken schon länger viel stärker auf den Einlagesatz. Er ist quasi zum Leitzins geworden. Um ihn herum bilden sich die wichtigen Geldmarktzinsen, an denen sich etwa die Zinsen für kurzfristige Kredite orientieren. Für viele Banken ist im Übrigen Liquidität kein Problem, sie sind derzeit nicht in jedem Fall auf Geld von der EZB angewiesen.

Wären die genannten Schritte ausreichend?

Nein. Die EZB agiert viel zu zögerlich. Notwendig wären frühere und entschiedenere Schritte, um die Inflationserwartungen einzuhegen. Die EZB sollte mehr tun. Aber ich erwarte es nicht. Die Schwergewichte im EZB-Rat sind anderer Meinung. Der neue Bundesbank-Präsident wird es schwer haben, Alliierte für eine Straffung der Geldpolitik zu finden. Dabei könnte die Wirtschaft sehr gut mit einem Leitzins von einem Prozent oder mehr leben.

Was bedeuten Zinsschritte der EZB für die Unternehmen? Erhöhen Banken und Sparkassen die Kreditzinsen?

Die Zinsen sind zwar gestiegen, aber kaum die langfristigen, die für Unternehmen mit Blick auf Investitionen wichtig sind. Die Liquidität in den meisten Firmen ist hoch. Und sie haben derzeit andere Probleme als die Zinsen: Verstopfte Lieferketten, fehlende Teile und fehlendes Material sowie die hohen Energiekosten. Investitionen scheitern derzeit nicht an den Zinsen.

Die Auftragsbücher sind voll wie nie. Kommt es zum Boom, wenn die Lieferengpässe überwunden sind?

Nein, das passiert nach und nach. Das Risiko von gestressten Lieferketten bleibt hoch. Wegen der strikten Null-Covid-Politik in China werden dort ganze Wirtschaftsregionen und Häfen geschlossen, selbst wenn nur wenige Corona-Fälle auftreten. Das Lieferketten-Problem wird sich nur allmählich lösen.

Welche Folgen sehen Sie für Verbraucher?

Auch da sind die Zinsen gestiegen. Wichtiger aber sind derzeit die hohe Inflation und die hohen Preise für Heizöl, Gas, Benzin und Diesel. Das dämpft den Konsum, nicht leicht höhere Kreditzinsen. Anders ist es bei Immobilienkrediten. Dort sind die Zinsen schon deutlich geklettert. Noch im Jahr 2020 lagen sie für Zehn-Jahres-Baugeld bei 0,75 Prozent. Jetzt sind es 1,25 Prozent. Für ein durchschnittliches Reihenhaus in den Städten bei einem Preis von 511 00 Euro ist das schon erheblich. Werden 80 Prozent finanziert ist die monatliche Zinsbelastung von gut 250 auf 425 Euro gestiegen. Für manche kann das eng werden.

Dazu kommen die steigenden Immobilienpreise.

Richtig. Vor zehn Jahren hat das durchschnittliche Reihenhaus 268 000 Euro gekostet. Obwohl die Zinsen heute wesentlich niedriger sind, war die damalige monatliche Zinsbelastung nur unwesentlich höher als heute.

Die andere Seite sind Spar- und Tagesgeldkonten. Werden die Zinsen auch da steigen?

Dazu muss der Einlagesatz der EZB wieder in den positiven Bereich kommen. Das erwarten wir erst 2023. Auch bei Verwahrentgelten wird sich kurzfristig nichts tun. Solange die Banken der EZB Negativzinsen zahlen müssen, werden sie die Kosten an ihre Klientel weitergeben.

Sind Aktien oder auch Fonds eine Alternative?

Wer langfristig mit Blick auf seine Altersvorsorge anlegt fährt mit Aktien, Aktienfonds und aktienbasierten Produkten gut, trotz aller Krisen. Das hat die Vergangenheit immer wieder gezeigt. Die Performance von Aktien lag langfristig immer über der Inflationsrate. Trotz der hohen politischen Unsicherheit könnte sich die aktuelle Lage im Nachhinein als guter Einstiegspunkt erweisen. Wenn man den Mut hat und auch Schwankungen aushalten kann. Es hat noch nie Sinn ergeben, hohe Anteile seines Vermögens auf Tagesgeld- und Sparkonten zu halten.

Wird die Inflationsrate im Jahresverlauf sinken?

Für Deutschland erwarten wir in diesem Jahr im Durchschnitt 3,9 Prozent, 2023 rechnen wir mit 2,9 Prozent. Es könnte in diesem Jahr wegen des Ölpreises aber auch zeitweise noch etwas mehr sein.

Interview: Rolf Obertreis

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