München – Ein Blick auf den Dax – und man hat die Börsenentwicklung im Blick. Das gilt vielleicht an normalen Tagen. Aber der Einmarsch russischer Truppen in der Ostukraine hat mit Normalität wenig zu tun. Wie wirkt sich die enorm gestiegenen Kriegsgefahr in Osteuropa aus? Der Dax startete mit deutlichen Verlusten, pendelte aber bereits um die Mittagszeit um seinen Vortagesschluss. Am Ende stand er mit 14 660,64 Punkten mit 0,48 Prozent im Minus.
Dass die US-Börsen gestern im Minus starteten, war erwartet worden. Am Montag wurde in New York wegen eines Feiertags nicht gehandelt. So vollzog die Wall Street die Vortagsverluste der weltweiten Börsen nur nach. Die Kurse drehten bald ins Plus, fielen dann aber erneut zurück.
Um das Auf und Ab zu verstehen, muss man schon einem Blick auf die Einzelwerte im Dax richten. Zwei davon stechen mit den größten Kursgewinnen heraus: Volkswagen und die Porsche SE. Da feiern die Anleger schon einmal den bevorstehenden Börsengang der Sportwagentochter Porsche AG. Ohne diese beiden Aktien wäre der Dax deutlicher im Minus gestanden.
Diese Nachricht allerdings hatte mit der Lage in der Ukraine nichts zu tun. Andere schon. Auffällig: Energiewerte standen überwiegend im Plus. Shell etwa und Total. Und auch Gazprom lag – anders als die russischen Indizes, die tief im roten Bereich rangierten – deutlich im Plus. Die Aktie hat aber ihre jüngsten Verluste noch nicht wieder aufgeholt. Insgesamt könnten die angezogenen Preise und die Aussicht auf weiter steigende Notierungen für Erdöl und Erdgas dem Energiesektor Auftrieb geben. Ein Barrel (159 Liter) der amerikansichen Sorte WTI kostete gestern 94,67 Dollar. Der Goldpreis pro Unze stieg nur zwischenzeitlich auf 1914 Dollar. Das ist höchste Stand seit Juni 2021. Doch die Gewinne bröckelten rasch ab. Auch am Rentenmarkt blieben große Ausschläge aus: Die Umlaufrendite sank von 0,10 Prozent am Vortag auf 0,08 Prozent. Im Dax gehörte auch Airbus zu den Gewinnern. Der Grund könnte eher im Verteidigungsgeschäft zu suchen sein als im zivilen Flugzeugbau. Viel spricht dafür, dass die Verteidigungsausgaben in Europa deutlich ansteigen werden. Auch Rheinmetall im MDax gehörte zu den Werten im Plus. Dabei könnte die Erwartung mitspielen, dass Deutschland sein bisheriges Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine angesichts des Einmarsches regulärer russischer Truppen auch gegenüber den Nato-Verbündeten möglicherweise nicht mehr lange aufrechterhalten kann. Die Situation ist, so Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei Donner & Reuschel, schwer kalkulierbar. Er sieht drei Szenarien. Würde es zu einzelnen Sanktionen und anhaltenden Verhandlungen kommen, würden die Börsen zur Tagesordnung übergehen. Selbst bei einem russischen Einmarsch in die Ostukraine ohne massive Reaktion des Westens erwartet er nur kurzfristige Verunsicherung. Bei einem Vorrücken der Truppen auf Kiew erwartet er harte Gegenmaßnahmen, ein definitives Ende von Nord Stream 2, zusammenbrechende Energiemärkte und in der Folge ein Kollabieren der Aktienmärkte und eine Flucht in Bundesanleihen, US-Dollar oder auch Gold. Allerdings hält Mumm dieses Szenario wegen der folgenden massiven Wirtschaftskrise in Russland für wenig wahrscheinlich. Auch rechnet er nicht mit der dafür notwendigen Rückendeckungs Chinas für Russland, weil die Chinesen ein Interesse an einer souveränen Ukraine als wichtigem Handelspartner haben. „Nur im Fall einer totalen Eskalation“, rechnet Mumm mit einem Abwürgen der globalen Konjunkturdynamik. MARTIN PREM