München – Um die Abhängigkeit von russischem Gas nicht noch weiter zu erhöhen, fordert Ex-EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU), den Ausstieg aus der Atomindustrie in Deutschland hinauszuzögern. „Wenn man die Abhängigkeit von russischen Gasimporten nicht noch weiter erhöhen will, wäre es sinnvoll, die letzten drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke in Deutschland Ende des Jahres nicht abzuschalten“, sagte er den „Stuttgarter Nachrichten“.
Es sei ein Gebot der Klugheit, die Stilllegungen zurückzustellen, sagte der frühere baden-württembergische Ministerpräsident. Oettinger, der auch EU-Energiekommissar war, erklärte dem Bericht in dem Blatt zufolge weiter: „Die Kraftwerke verfügen über einen hohen Sicherheitsstandard und unterliegen ständigen Sicherheitskontrollen. Ich halte es für vertretbar, sie noch für eine gewisse Zeit am Netz zu lassen.“ Er wolle aber die grundsätzliche Entscheidung nicht infrage stellen, aus der Atomkraft auszusteigen. Ähnlich äußerte sich der Energiepolitikexperte der Unionsfraktion, Mark Helfrich: „Die Versorgungssicherheit Deutschlands darf auf keinen Fall gefährdet werden.“
Die baden-württembergische Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sieht die Aussagen Oettingers sehr skeptisch. „Wir sind uns einig, dass wir die Abhängigkeit von Gas und Kohle aus Russland beenden müssen. Der richtige Weg dafür ist jedoch der massive und schnelle Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie deren technologische Weiterentwicklung.“ Sämtliche Anstrengungen und Investitionen für die Energieversorgung der Zukunft müsse man daraufhin ausrichten. „Erneuerbare Energien sind sicher, umweltverträglich und generationengerecht.“ Kernkraft hingegen sei und bleibe gefährlich. „Fukushima zeigt uns bis heute eindrücklich, wie tödlich und zerstörerisch Kernenergie ist. Die Garantie – absolut sicher – kann und wird uns keiner geben.“
Nach bisheriger Gesetzeslage sollen spätestens Ende des Jahres die drei letzten deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 abgeschaltet werden. Zudem sind neue Gaskraftwerke geplant.
Die Bundesregierung bemüht sich indes um mein Maßnahmenpaket, um die deutsche Souveränität in der Energieversorgung zu stärken. Nach den dramatischen Ereignissen in der Ukraine legte Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) nun ein Papier mit konkreten Maßnahmen vor, um kurz- und mittelfristig die Krisenvorsorge zu stärken.
Dazu gehört neben dem Aufbau einer strategischen Erdgasreserve auch die Bevorratung von Kohle. Der Anteil der Kohle aus Russland liegt bei rund 50 Prozent, diese wird zur Verstromung in den Steinkohlekraftwerken eingesetzt. Auch bei der Kohle soll es nach den Plänen Habecks eine Diversifizierung der Lieferungen und Verringerung der Importabhängigkeit geben. Gemeinsam mit den Kraftwerksbetreibern soll nun die Beschaffung und Reservebildung bei Kohle vorangetrieben werden.
Bisher scheint die Energieversorgung bei Strom und Gas noch sicher, so die Einschätzung der Bundesnetzagentur: „Eine unmittelbare Gefährdung der sicheren Strom- und Gasversorgung liegt nicht vor“, sagte ein Behördensprecher der Deutschen Presse-Agentur am Freitag. „Wir untersuchen fortlaufend den Zustand der Energieversorgung in Deutschland in engem Kontakt mit der Energiewirtschaft. Nach unserer Einschätzung treffen die Unternehmen die nötigen vorausschauenden Maßnahmen.“
Die Gasspeicher seien ausreichend gefüllt. „Der aktuelle Füllstand liegt inzwischen nah an dem Stand, der in den vergangenen Jahren jeweils Ende Februar zu verzeichnen war.“ Der Sprecher äußerte sich auch zum Thema Gasimporte: „Die Importflüsse haben sich in den letzten Tagen nicht nennenswert verschoben.“ Auch aus Russland fließe weiterhin Gas nach Deutschland. dpa