München – Der russische Angriff auf die Ukraine hat laut Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) bereits im Februar zu einem deutlichen Einbruch des Welthandels geführt. „Die Februarzahlen geben einen Vorgeschmack auf die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges“, erklärte der Leiter des Kiel Trade Indicator, Vincent Stamer. Demnach ging der Welthandel im Februar im Vormonatsvergleich um 5,6 Prozent zurück. Dabei handelte es sich laut IfW um den größten Einbruch seit Beginn der Corona-Pandemie. Der seit einigen Monaten anhaltende Erholungstrend in der Weltwirtschaft sei somit unterbrochen.
Das knappe Angebot treibt die Märkte an: „Nach oben schnellende Preise für Energie, Lebensmittel und Rohstoffe treiben die Inflation in Europa und darüber hinaus auf den höchsten Stand in 40 Jahren“, erklärt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Privatbank Berenberg.
Am deutschen Aktienmarkt ging die Talfahrt zu Beginn der neuen Woche ungebremst weiter. Der Dax brach am Vormittag um rund fünf Prozent auf 12 444 Punkte ein. Das ist der tiefste Stand seit November 2020. Seitdem er Anfang Januar noch fast bis auf sein Rekordhoch von 16 290 Punkten gestiegen war, summieren sich die Verluste nun schon auf rund ein Viertel. Dieser Verfall lockte offenbar Schnäppchenjäger an und der Dax konnte sich zum Xetra-Handelsschluss auf 12 898 Punkte hieven. Zu den wenigen Ausnahmen mit Kursgewinnen zählten am deutschen Aktienmarkt erneut Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall und die Papiere von Düngerkonzernen wie K+S. Auch die Börse in Tokio war betroffen und hat aus Sorge über die Folgen eines möglichen Importstopps für Öl aus Russland auf dem niedrigsten Stand seit mehr als einem Jahr geschlossen. Der Nikkei ging am Montag mit einem heftigen Abschlag von 2,94 Prozent aus dem Markt. Wie tief der deutsche Leitindex noch fallen wird, lässt sich indes noch nicht voraussagen, sagt Dieter Münchow, Aktien-Analyst bei der Bayerischen Landesbank unserer Zeitung: „Eine seriöse Bewertung des Dax ist erst möglich, wenn man ausloten kann, wie viel Geld die steigenden Rohstoffpreise den Verbrauchern aus dem Geldbeutel rauben, das Konsumvertrauen geschädigt wird, die Staaten fiskalpolitisch stimulativ eingreifen, die Zentralbanken ausreichend Liquidität vorhalten und die Lieferengpässe überwunden werden können.“ Zu diesen Variablen kommt die politische Großwetterlage: „Die veränderte geopolitische Spannungslage über die Schiene China-Russland dürfte zu einem erhöhten Risikoabschlag für Aktien, gerade europäische Aktien führen.“ Unter anderem leidet die Produktivität in Europa unter der hohen Abhängigkeit der Energieversorgung von Ex-Sowjetstaaten und höheren Verteidigungsausgaben. Die Unsicherheit bekam auch der Euro zu spüren, der bereits seit Tagen unter Druck steht. Zwischenzeitlich fiel die Gemeinschaftswährung auf 1,082 Dollar, der tiefste Stand seit Mai 2020.
Besser sieht es laut Münchow in den Vereinigten Staaten aus: „US-Aktien profitieren unter anderem von der geografischen Abgrenzung, der militärischen Vormachtstellung und dem Save-Haven-Standard (Sicherer Hafen) des Dollars.“ Denn in Krisenzeiten profitierten stabile Währungen wie amerikanischer Dollar oder Schweizer Franken.
Gleiches gelte für den Krisenklassiker: „Gold war schon immer und bleibt eine solide Portfoliobeimischung. Aktuell profitiert das gelbe Metall auch wieder von fallenden Realrenditen.“ Ebenfalls könnten Metalle und Erze gewinnen, die langfristig für die Digitalisierung, Klimaschutz und und Elektrifizierung benötigt werden. Unsicherer sei die Lage bei fossilen Energieträgern: „Galoppierenden Preisanstiegen, wie denen bei Öl- und Gas zu folgen, hat sich noch nie als langfristig erfolgreiche Strategie bewährt.“
Blickt man über den Tellerrand, liefert auch Südamerika ein zwiespältiges Bild: „Südamerikas Aktienmarkt profitiert einerseits von den steigenden Rohstoffpreisen, gerade bei Agrarprodukten, und leidet andererseits unter einer sehr hohen Inflation“, sagt Dieter Münchow.
Größere Chancen sieht der Analyst in Asien und dem regionalen Zugpferd China: „Das am Wochenende auf dem Nationalen Volkskongress kommunizierte Ziel für das Wirtschaftswachstum in 2022 fiel trotz Krise am Wohnimmobilienmarkt, der sich noch aufbauenden Omikron-Welle und stark gestiegener Rohstoffpreise mit 5,5 Prozent besser als erwartet aus.“ Das Reich der Mitte scheine also nicht mit einem langfristigen Krieg zu rechnen. Münchow erwartet eine Aufweichung der Zero-Covid-Strategie und weitere fiskalpolitische Stimuli. (Mit Material von AFP und dpa)