München – „Zocker“, „Spekulanten“, „Heuschrecken“: Seit der Finanzkrise 2007/2008 haben Investoren oft einen schlechten Ruf. Gleichzeitig stellt sich bei Wirtschaftssubventionen immer die Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen. Die Bayern Kapital Gesellschaft bringt mittels Wagniskapital bayerische Start-ups an den Markt – und erwirtschaftet damit Geld für die Staatskasse. Dieses Frühjahr legt Co-Geschäftsführer Roman Huber die Geschicke der staatlichen Invest-Gesellschaft in die Hände seiner Nachfolgerin Monika Steger. Zeit für ein Gespräch mit den Spekulanten im öffentlichen Auftrag.
Frau Steger, Herr Huber, Oberbayern ist ein potenter und entwicklungsstarker Technologiestandort. Wofür braucht es hier Start-ups?
Huber: Weil sie hier viel flexibler arbeiten können. In großen Forschungsabteilungen wird meist bestehende Technologie weiterentwickelt – aber bei wirklich neuen Konzepten sind die Vorgänge relativ stark strukturiert. Das ist im Interesse einer Konzernstrategie auch so gewünscht. Wenn in einem Start-up der Chefentwickler aber gleichzeitig der Geschäftsführer ist, können die ersten Schritte viel schneller und zielgerichteter stattfinden.
Erklären Sie das.
Steger: Gerade bei den Uni-Ausgründungen kennt man sich vielleicht schon von Drittmittel-Projekten und hat funktionierende kurze Entscheidungswege installiert. Außerdem haben Sie hier eine ganze andere Dynamik: Wenn man sich Entwickler ins Team holt, kann man zwar meistens kein mit Konzernen vergleichbares Gehalt anbieten, aber man kann die Mitarbeiter über Unternehmensanteile attraktiv honorieren. Dies ist ein wichtiger Punkt, mit dem Start-ups sehr qualifizierte motivierte Mitarbeiter finden, die innovative Ideen zügig voranbringen. Wenn das Projekt erfolgreich ist, fahren sie die Erträge im Nachhinein ein.
Was hat München Start-ups zu bieten?
Huber: Das sind zum einen die Forschungseinrichtungen und großen Universitäten, die wir hier haben, TU, LMU und die Hochschule München, wo jedes Jahr tausende junge Menschen den neuesten Stand der Forschung lernen. Daran angeschlossen sind Institutionen wie das Strascheg-Center oder die Unternehmer-TUM, wo die Studenten auf die Unternehmensgründung vorbereitet werden. Dazu – und das ist mindestens genauso wichtig – haben wir mit Unternehmen, beispielsweise BMW, Siemens und Infineon auch die industrielle Anwenderseite vor Ort vertreten. Damit können Prototypen frühzeitig beim Kunden getestet werden und die Produkte kommen schneller kundengerecht auf den Markt.
Welche Branchen haben Sie im Portfolio?
Huber: Das lässt sich nicht so leicht sagen, viele Entwicklungen finden beispielsweise in der Zulieferindustrie statt, die Ergebnisse stecken dann aber in jedem Fahrzeug, werden aber nicht zur Automotive gerechnet. Insgesamt halten wir aktuell Beteiligungen in Höhe von knapp 175 Millionen Euro. Davon steckt etwa ein Drittel in Software-Unternehmen und ein weiteres Drittel in Life Sciences mit Biotechnologie- und Medizintechnikunternehmen. Der Rest verteilt sich auf alle weiteren innovativen Technologiesegmente. Alle Hightech-Branchen außer Rüstung sind für uns interessant.
In welchen Zeiträumen denken Sie?
Steger: Wir wollen Unternehmen finanzieren, die attraktive, innovative und technologieorientierte Lösungen für die Zukunft anbieten, also keine kurzfristigen Erträge abwerfen müssen. Das Problem sind die Entwicklungszeiten: Da wird jahrelang kein Geld verdient und das schreckt viele Investoren ab. Genau dafür sind wir da, um die schwierige Phase zu überwinden. Gleichzeitig helfen wir, private Geldgeber zu mobilisieren. Diese Kooperation müssen wir auch nach EU-Recht erreichen.
Welche Erfolgsgeschichten gibt es?
Steger: Nehmen wir die EOS Elektro Optical Systems aus Krailling, in die wir 1997 eingestiegen sind. Die haben mit ganz wenigen Leuten angefangen und sind heute mit 1350 Mitarbeitern der weltweit führende Technologieanbieter im industriellen 3D-Druck von Metallen und Kunststoffen. Oder Commercetools aus München, da haben wir gleich im Gründungsjahr 2006 investiert. Die Firma hatte eine neuartige, leistungsfähige IT-Infrastruktur für Internet-Shops entwickelt, für die es damals nur bescheidene Nachfrage gab. Der erste große Kunde war dann Red Bull. Und da hatten wir Glück: Der Formel-1-Fahrer Sebastian Vettel hat angefangen, mit einem Red-Bull-Boliden-Rennen zu gewinnen – und der Internet-Shop wurde von Kunden überrannt. Das konnte er nur wegen seiner stabilen Infrastruktur bewältigen. Heute ist Commercetools mit etwa 1,9 Milliarden Dollar bewertet.
Also erwirtschaften Sie auch kräftige Gewinne?
Huber: Unser Anspruch ist es, in Summe aller Beteiligungen eines Fonds bei den Frühphasenfonds mindestens mit null nach Kosten abzuschließen, ab der Wachstumsphase streben wir – trotz der noch immer erheblichen Investitionsrisiken – Gewinne an. Gleichzeitig möchten wir den Technologiestandort Bayern dabei so weit wie möglich voranbringen. Man muss sehen: Im Venture-Capital-Geschäft brechen in den Anfangsphasen ungefähr 30 bis 40 Prozent der Unternehmen ein, das Geld ist dann weg. Wichtig ist, dass man die Verluste mit den Gewinnen aus den erfolgreichen Unternehmen kompensieren kann. Unser größter Erfolg war ein Verkauf zum Vierzigfachen des eingesetzten Geldes. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind wir klar im Plus: Wir haben in Bayern mindestens 8000 Arbeitsplätze und viele hochprofitable Unternehmen entwickelt.
Woran scheitern Start-ups?
Steger: Es gibt viele Fallstricke. Am offensichtlichsten ist die mangelnde Nachfrage. Vielleicht ist der Nutzen, den man stiftet, zu gering für eine ausreichend große Masse – oder den möglichen Preis. Bei längeren Entwicklungszeiten kann es aber auch passieren, dass man vom Wettbewerb überholt und damit überflüssig wird. Wir haben es aber leider auch schon erlebt, dass der Warenkorb zu klein ist, weil große Abnehmer einen Lieferanten für alle Teile wollen. Je weniger herausragend das einzelne Produkt ist, desto überzeugender muss das Gesamtangebot sein.
Was kann noch schiefgehen?
Huber: Es kann im Team kriseln. Oftmals ist der Gründer, der die Idee entwickelt und erstmals zur Marktreife bringt, nicht der Manager, der das Unternehmen auch nach Amerika und Asien führt. Da sind einfach unterschiedliche Fähigkeiten gefragt. Deshalb ist es wichtig, dass die Gründer in der Lage sind, sich für unterschiedliche Phasen die richtigen Leute ins Boot zu holen. Eine weitere Fehlerquelle können aber auch Patente sein: Wenn man nicht rechtzeitig seine Ideen schützt und dafür sorgt, dass man nicht andere verletzt, ist das Unternehmen quasi zum Scheitern verurteilt. Dazu zählt auch: Gehört das Patent der Firma oder dem Entwickler? Niemand investiert in eine Firma, bei der die Schutzrechte Privatleuten gehören.
Was muss ein Start-up mitbringen, um Geld von der Bayern Kapital bekommen?
Steger: Wir finanzieren Summen zwischen 250 000 und 25 Millionen Euro, also alles von der Entwicklung bis zur umfassenden internationalen Expansion. In der Gründungsphase erwarten wir zum Beispiel mindestens ein funktionierendes Labormodell und einen durchdachten Geschäftsplan. Gerade junge Gründer müssen sich Gedanken machen: Will ich mich wirklich die nächsten fünf Jahre nur diesem Projekt widmen, mit dem Risiko, dass es scheitert?
Wie geht es dann weiter?
Huber: Wenn das Geld bewilligt ist, begleiten wir die Unternehmen bei ihrer Entwicklung. Wir haben in 25 Jahren knapp 300 Unternehmen finanziert, wir haben viel gesehen und ein großes Netzwerk. Deshalb können wir in manchen Fällen auch frühzeitig sagen: Hier wird es Probleme geben, sucht euch dort Hilfe. Als ersten Schritt kann ich Ingenieuren mit einer Idee nur empfehlen: Lesen Sie das Handbuch vom Münchner Business-Plan-Wettbewerb, nehmen Sie daran teil und nutzen Sie die dortigen Info- und Beratungsmöglichkeiten.
Interview: Matthias Schneider