Bandenbetrug, Untreue, Manipulation

von Redaktion

VON THOMAS MAGENHEIM-HÖRMANN

München – Die Vorwürfe rauben den Atem. Der Mann, der in Deutschland einmal als Digitalguru und Chef einer Vorzeigefirma gefeiert wurde, soll in Wahrheit führender Kopf einer Verbrecherbande gewesen sein, die unter anderem rund 225 Millionen Euro veruntreut haben soll. Die Rede ist vom Ex-Chef des untergegangenen Dax-Konzerns Wirecard, Markus Braun.

Gegen ihn und zwei mutmaßliche Komplizen hat die Münchner Staatsanwaltschaft nun Anklage erhoben. Das Trio wird des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, schwerer Untreue sowie der Marktmanipulation beschuldigt. Dadurch sollen auch Schuldverschreibungen und Kredite über 3,1 Milliarden Euro erschlichen worden sein, die zum Großteil verloren sind. Es handle sich um eine erste, 474 Seiten lange Anklageerhebung, stellen die Ermittler klar. Beendet ist die Fahndung damit nicht.

Mit Jan Marsalek ist ein mutmaßlicher Haupttäter und Ex-Vorstand von Wirecard auf der Flucht. Ermittelt wird noch gegen eine zweistellige Zahl weiterer Verdächtiger. Braun streitet indes nicht nur jede Schuld ab. Seine Verteidiger blasen sogar zum Gegenangriff auf die Staatsanwälte.

Sie bestreiten zwar nicht die Existenz einer kriminellen Bande, die Wirecard ausgeraubt hat. Ihr Mandant sei nur nicht deren Mitglied, sondern unwissendes Opfer gewesen. Die Anklage gehe von einem falschen Tatbild aus. Von der Existenz krimineller Schattenstrukturen will Braun erst aus Ermittlungsakten erfahren haben.

Diametral entgegengesetzt sind die Darstellungen von Anklage und Verteidigung vor allem in einem zentralen Punkt. Während Ermittler davon ausgehen, dass die Täter angebliche Wirecard-Geschäfte im großen Stil nur erfunden haben, beteuern Brauns Anwälte, dass es die Geschäfte gegeben hat. Nach ihrer Version wäre dann sogar eine Milliardensumme hinter dem Rücken von Braun in dunkle Kanäle abgezweigt und ins Ausland verschoben worden. Die Ermittler hätten es versäumt, nach diesen Geldern zu suchen.

Wirecard war Zahlungsdienstleister für bargeldlosen Zahlungsverkehr. Als solcher hat er elektronisch Bezahlvorgänge abgewickelt und dabei transferierte Summen dem Empfänger gegen Gebühr garantiert.

Wirecard hatte aber nicht auf allen Märkten weltweit eine eigene Lizenz für solche Geschäfte und deshalb mit Partnern kooperiert. Um diese Drittpartnergeschäfte speziell in Asien geht es in einem zentralen Teil der Anklage. Denn allein auf drei solcher Partner in Dubai, auf den Philippinen und in Singapur entfielen über Jahre hinweg große Teile der bilanziell ausgewiesenen Wirecard-Umsätze sowie zeitweise der gesamte Jahresgewinn des Konzerns. Die Ermittler gehen im Gegensatz zu Brauns Verteidigern davon aus, dass diese Geschäfte nie existiert haben und frei erfunden worden sind.

Die Wirecard-Konzernabschlüsse der Jahre 2015 bis 2018 seien deshalb falsch. Statt wie dort behauptet hoch profitabel gewesen zu sein, habe der Konzern real tiefrote Zahlen geschrieben, was den drei Beschuldigten seit mindestens 2015 auch bekannt gewesen sei. Niemals wirklich gegeben habe es auch ein angebliches Treuhandvermögen von fast einer Milliarde Euro in Singapur, sagen Ermittler.

Ein doppelt so hohes Treuhandvermögen von 1,9 Milliarden Euro soll es laut Wirecard-Bilanzen ab 2019 auf Banken auf den Philippinen gegeben haben. Dieser Punkt ist noch nicht vollständig ermittelt und deshalb kein Teil der aktuellen Anklageerhebung. Die Ermittler glauben beweisen zu können, dass Braun von allen Scheingeschäften wusste und sie unter anderem mithilfe der beiden Mitangeklagten erfunden hat. Das sind der ehemalige Statthalter von Wirecard in Dubai, der sich als Kronzeuge präsentiert, und der ehemalige Chefbuchhalter des Konzerns.

Als KPMG-Wirtschaftsprüfer im April 2020 und damit zwei Monate vor der Wirecard-Pleite im Rahmen einer Sonderprüfung die zweifelhafte Existenz von Treuhandmilliarden festgestellt hatten, habe Braun wahrheitswidrig den Eindruck vermittelt, dass alles in Ordnung sei, glaubt die Anklage beweisen zu können. Zudem hätten ihm als Großaktionär die geschönten Bilanzen über Jahre hinweg Dividenden von 5,5 Millionen Euro eingebracht.

Weit größere Summen seien per Darlehen an dubiose Firmen aus dem Konzern geschleust worden. Erfolgt sei das oft ohne Sicherheiten, Zweckbindung oder Rückführungszeitpunkt ins Blaue hinein und gegen Widerstände von Untergebenen. Wer derart verschobene rund 225 Millionen Euro abgegriffen hat, wissen die Ermittler nicht immer genau. In mindestens zwei von sechs Transaktionsfällen soll eines der Mitglieder der Wirecard-Betrügerbande darauf Zugriff gehabt haben. Verschoben wurden die Gelder vielfach in den Monaten vor der Wirecard-Pleite.

Es ist nun am Landgericht München zu entscheiden, welcher Version des Tathergangs es Glauben schenkt. Ist es die der Staatsanwaltschaft, wofür vieles spricht, kommt es voraussichtlich noch dieses Jahr zum Prozess. Ein kurzer wird das nach Lage der Dinge nicht. Es geht dabei nicht nur um komplexes Geschehen und viel Geld, sondern im Falle einer Verurteilung auch um bis zu zehn Jahre Haft.

Brauns Verteidiger blasen zum Gegenangriff auf die Staatsanwälte

Gelder wurden Monate vor der Wirecard-Pleite verschoben

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