Berlin – Die Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sorgen aus Sicht der deutschen Wirtschaft für eine teils dramatische Verschärfung von Lieferengpässen. Wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) am Donnerstag mitteilte, melden rund 60 Prozent der Firmen zusätzliche Störungen in der Lieferkette und Logistik als Folge des Krieges. Das zeige ein erster Trend aus einer laufenden DIHK-Blitzbefragung zu den wirtschaftlichen Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine. Teilweise müssten Firmen 24 Wochen auf bestellte Teile warten.
Unter dem Eindruck dieser Entwicklungen in der Ukraine hat das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) seine ohnehin schon gedämpfte Wachstumsprognose für 2022 halbiert. Die Ökonomen trauen der deutschen Wirtschaft im laufenden Jahr nur noch ein Wachstum von 2,1 Prozent zu, wie das IfW am Donnerstag mitteilte. Bereits im Dezember hatte das Institut seine Erwartungen angesichts der anhaltenden Coronapandemie und der hartnäckigen Lieferengpässe von 5,1 auf 4 Prozent gestutzt. Vor dem Hintergrund der seit Kriegsausbruch noch stärker steigenden Energiepreise rechnen die Ökonomen zudem mit einer Inflationsrate von 5,8 Prozent, dem höchsten Wert seit der deutschen Einheit vor mehr als 30 Jahren.
„Der Ukraine-Schock verzögert die Rückkehr zum Vor-Corona-Niveau in die zweite Jahreshälfte“, schreibt das IfW in seiner Prognose. „Die Produktionskapazitäten bleiben bis Ende des Jahres nicht voll ausgelastet und damit die Wirtschaftsleistung unter den Möglichkeiten.“ Ein Teil der ausfallenden Produktion dürfte aus IfW-Sicht 2023 nachgeholt werden, sodass für das kommende Jahr nun ein leicht stärkeres Wachstum von 3,5 (bislang 3,3) Prozent erwartet wird. Insgesamt kosteten die ökonomischen Verwerfungen infolge des Ukraine-Krieges Deutschland in diesem und im kommenden Jahr rund 90 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung, kalkuliert das IfW. Dass die deutsche Wirtschaft im laufenden Jahr nicht erneut in eine Rezession stürzen dürfte, erklären die Ökonomen mit „starken postpandemischen Auftriebskräften“, zu denen enorme Ersparnisse der Konsumenten sowie Spitzenwerte bei den Auftragsbeständen zählen. „Diese Sonderfaktoren federn den Ukraine-Schock ab, sodass die konjunkturelle Erholung nach der Corona-Pandemie zwar kurzfristig stark belastet wird, aber nicht abbricht“, sagte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths laut Mitteilung. Die größte europäische Volkswirtschaft war im ersten Corona-Jahr 2020 um 4,6 Prozent geschrumpft. 2021 betrug das Wirtschaftswachstum 2,9 Prozent. dpa