Laborfleisch an Schwelle zum Massenmarkt

von Redaktion

VON SEBASTIAN HÖLZLE

München – Am Kapitalmarkt sorgte die Nachricht für Aufsehen: Das  US-amerikanische Ernährungsunternehmen Eat Just strebt an die Börse, hieß es im Juli. Eat Just strebt demnach eine Unternehmensbewertung von fast drei Milliarden US-Dollar an. Aufhorchen ließ die Nachricht, da Eat Just ein ungewöhnliches Neugeschäft plant: Fleisch aus dem Bioreaktor. Bislang verkaufte das Unternehmen aus San Francisco lediglich Fleischersatzprodukte und Eierersatz auf pflanzlicher Basis, etwa Soja. Zellkulturfleisch ist dagegen auch für Eat Just etwas Neues: Erst vor rund einem Jahr hat das Unternehmen überhaupt die Zulassung für Hühnchen-Fleisch aus dem Labor erhalten. Und auch das bisher nur in Singapur. Dort sind die künstlich hergestellten Chicken-Nuggets bereits erhältlich – für Mitglieder eines exklusiven Privatclubs. Das Versprechen: Ein Geschmackserlebnis wie bei echtem Fleisch – aber ohne Tierhaltung und qualvolle Schlachtung.

Echtes Muskelfleisch – aber nicht vom Tier

„Der große Unterschied zum konventionellen Fleisch ist, dass In-Vitro-Fleisch nicht am Tier wächst, sondern in der Petrischale oder im Bioreaktor“, sagt Silvia Woll vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe. „In vitro“ bedeutet „im (Reagenz-)Glas“ – ein Fachbegriff aus den Naturwissenschaften. „Gewebezüchtung gibt es in der Medizin schon sehr lange“, sagt die Forscherin. „Aber dort wird mal ein Fetzen Haut oder ein Stückchen Leber hergestellt und nicht Massen an Fleisch, um ganze Städte mit Nahrung zu versorgen, wie es jetzt geplant ist.“

Schon bald sollen Muskelfasern aus dem Bioreaktor für jeden erhältlich sein. „Wir könnten eventuell bald an einer Schwelle zum Massenmarkt stehen“, sagt Silvia Woll. Es sei gut möglich, dass der Durchbruch kurz bevorstehe. Aber noch gebe es technologische Hürden.

2013: Erstmals gelingt die Herstellung

London im Jahr 2013: Mark Post von der Universität Maastricht präsentiert der verblüfften Weltöffentlichkeit erstmals im Labor hergestelltes Rinderhackfleisch. Die Forscher hatten einem lebenden Rind Zellen entnommen und diese in einer Nährlösung vermehrt (siehe Grafik). Damit war der Beweis erbracht, dass die Herstellung von Fleisch außerhalb von Tieren möglich ist.

Ohne Kälberserum ging es anfangs nicht

Schnell zeigte sich, warum eine Massenproduktion nicht ohne Weiteres möglich war –nicht zuletzt wegen Zweifeln an der Nachhaltigkeit: Anfangs bestanden die Nährlösungen unter anderem aus fetalem Kälberserum. Der Verein Ärzte gegen Tierversuche beschreibt die Gewinnung von fetalem Kälberserum so: „Direkt nach der Schlachtung einer schwangeren Kuh wird dieser der Fötus aus der Gebärmutter herausgeschnitten. Dann wird dem noch lebenden Kalb eine dicke Nadel zwischen die Rippen durch Haut und Muskeln direkt ins schlagende Herz gestoßen. Das Blut wird abgesaugt, bis das Tier blutleer ist und stirbt. Diese Prozedur geschieht ohne Betäubung, obwohl davon auszugehen ist, dass Kälberfeten bereits leidensfähig sind.“ Nicht gerade die beste Werbung für eine Branche, die mit dem Versprechen angetreten war, Tierleid zu verhindern.

Die gute Nachricht: „Alle Hersteller sagen mittlerweile, dass die Herstellung von In-Vitro-Fleisch auch ohne fetale Kälberlösung funktioniert“, sagt Silvia Woll.

Ganz ohne Tiere geht es aber bis heute nicht: „Eine Muskelbiopsie für die Entnahme der Stammzellen bleibt weiterhin notwendig“, sagt Woll. „Das Tier stirbt zwar nicht, aber da wird mit einer Art Spritze ins Muskelgewebe reingehauen, was ein schmerzhafter Prozess ist, aus dem sich dann die Muskeln extrahieren lassen.“ Insgesamt benötige man aber deutlich weniger Tiere verglichen mit konventioneller Tierhaltung.

Start-ups bringen sich in Position

Ungeachtet vieler technologischer Hürden herrscht bei den Start-ups der Branche Goldgräberstimmung. Neben Eat Just hoffen Upside Foods aus Kalifornien, Mosa Meat aus den Niederlanden, New Harvest aus Kanada, Aleph Farms aus Israel und viele andere Jungunternehmen auf einen Massenmarkt. Bei Aleph Farms und Eat Just scheinen die Vorbereitungen für die industrielle Großproduktion bereits weit fortgeschritten. So denkt etwa Eat Just über eine große Fabrik im Golfstaat Katar nach, laut „Spiegel“ soll sie 200 Millionen Dollar kosten.

Deutsche Firmen zurückhaltend

Die traditionelle deutsche Ernährungswirtschaft zögert noch. Beispiel Rügenwalder Mühle: Der Wursthersteller aus Niedersachsen hat zwar vor Jahren den Markt für vegetarische Produkte auf Pflanzenbasis für sich entdeckt, bei Zellkulturfleisch bleibt Firmenchef Michael Hähnel aber zurückhaltend: „Wir schauen uns auch In-Vitro-Fleisch an“, sagte er im Sommer dem Berliner „Tagesspiegel“. „Aber ich bin nicht sicher, ob die deutschen Konsumenten für so etwas schon bereit sind.“

Auch der Münchner Agrar-Konzern BayWa hält sich bislang fern vom Laborfleisch, obwohl die BayWa seit Jahren in Start-ups investiert, die Fleischersatzprodukte auf pflanzlicher Basis herstellen. In-Vitro-Fleisch sei aber zu weit weg vom eigentlichen Kerngeschäft der BayWa, begründet eine Konzernsprecherin das Vorgehen. Investiert werde weiterhin in Unternehmen, bei denen auch Lieferbeziehungen zur Landwirtschaft bestünden.

Und das Start-up Planty of Meat aus Gilching im Landkreis Starnberg, das Fleischalternativen entwickelt, setzt weiterhin auf rein pflanzliche Produkte. Geschäftsführer Christoph Schöppl sagt aber, man befinde sich mit der schweizerischen Firma Miraifoods im Austausch, einem weiteren Start-up für Fleisch aus der Zellkultur.

Wacker Chemie steigt ins Geschäft ein

Einzig der Chemiekonzern Wacker mischt neuerdings mit: Im Dezember gab der Münchner MDax-Konzern bekannt, an Aleph Farms in Israel spezielle Proteine zu liefern, damit bei der Herstellung von Zellkulturfleisch auf fetales Kälberserum und andere tierische Bestandteile verzichtet werden könne. „Der Markt für kultiviertes Fleisch entwickelt sich rasant, und wir wollen dazu beitragen, dass es für jedermann erschwinglich wird“, begründete Susanne Leonhartsberger von Wacker Biosolutions den Schritt. Wacker verfüge über langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Proteinproduktion. „Auf dieser Basis steigen wir nun in den Bereich Zellkulturfleisch ein“, kündigte sie an. „Als das technologisch fortschrittlichste Unternehmen auf diesem Gebiet ist Aleph Farms für uns ein idealer Partner für dieses Projekt.“

Fad und zäh im Geschmack

Der Erfolg des Zellkulturfleischs im Kühlregal dürfte auch vom Geschmack abhängen. „Nach der Verkostung des ersten In-Vitro-Fleischs 2013 blieb die Erkenntnis: Das schmeckt etwas trocken und etwas fade“, sagt Expertin Silvia Woll. Fade, weil das Fleisch damals schlicht nicht gewürzt gewesen sei. „Trocken war es, weil es nur aus den Proteinbestandteilen des Fleisches bestand und Fett als Geschmacks- und Konsistenzträger fehlte.“

Meldungen aus Singapur, wonach das Geschmacksproblem bereits gelöst sei, müsse man mit Vorsicht zur Kenntnis nehmen: „Zwar wird In-Vitro-Fleisch in Singapur in einem Privatclub angeboten, die Hähnchen-Nuggets bestehen aber zu einem Teil aus In-Vitro-Fleisch und zum anderen Teil aus pflanzlichen Bestandteilen“, sagt Silvia Woll. „Nur verrät niemand das Verhältnis.“ Die Expertin geht aber davon aus, dass es den Herstellern gelingen wird, das Geschmacksproblem zu lösen.

Schwieriger werden dürfte es, mit einer gut sortierten Auslage beim Metzger zu konkurrieren. „Im Moment ist es im Bioreaktor nur möglich, kleine faserige Stücke herzustellen, die am Ende zusammengepresst werden, etwa für Burger oder Chicken-Nuggets“, sagt die Forscherin. „Die Herstellung von Steaks und Schnitzel ist weiterhin nicht möglich.“

Anfänglicher Ekel legt sich

Dennoch ist Silvia Woll davon überzeugt, dass sich Zellkulturfleisch nach und nach durchsetzen wird, sofern die technologischen Hürden der Herstellung überwunden werden. In Fokusgruppenbefragungen hat sie festgestellt: „Viele der Befragten, die normalerweise Fleisch essen, finden die Vorstellung, In-Vitro-Fleisch zu essen, erst einmal ziemlich eklig.“ Weise man die Menschen aber auf eine möglicherweise nachhaltigere Herstellung und mehr Tierwohl hin, kämen fast alle Befragten zumindest ins Nachdenken. Dies decke sich mit vielen älteren Beobachtungen, wonach sich Menschen trotz eines anfänglichen Ekels an neue Produkte gewöhnten – sofern der Preis stimmt. „Am Markt hat sich auch künstlich hergestellter Erdbeerjoghurt durchgesetzt, obwohl der nie eine echte Erdbeere gesehen hat“, sagt Woll.

Die Effekte auf Klima und Natur dürften nach Einschätzung der Technologie-Forscherin dennoch begrenzt bleiben. Woll verweist darauf, dass die Produktion von Zellkulturfleisch riesige Mengen an Strom verschlinge. „Und falls Zellkulturfleisch irgendwann einmal billig zu kaufen sein wird, ist nicht ausgeschlossen, dass am Ende sogar mehr Fleisch gegessen wird – dann bräuchte man mehr Energie.“ Denkbar sei auch, dass die weltweite Fleischnachfrage, getrieben durch Schwellenländer wie China, in den kommenden Jahren weiter steigen wird –der globale Fleischkonsum könnte trotz des Alternativmarktes insgesamt weiter steigen. „In-Vitro-Fleisch wird vermutlich kommen – aber konventionelles Fleisch wird es trotzdem noch lange geben.“

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