Peking – Bei Volkswagen, Audi, BMW und Tesla in China stehen Werke still. Zig Millionen Menschen dürfen ihre Wohnungen nicht verlassen. Der Corona-Lockdown in Shanghai bremst den Umschlag im größten Hafen der Welt. Schon die Lastwagen fehlen. Der Frachtverkehr im größten Produktionsland der Erde geht spürbar zurück. „Wenn China einen Schluckauf bekommt, haben wir alle eine schwere Erkältung anderswo in der Welt der Lieferketten“, warnt der Vorsitzende der Europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke.
China trage zu einem Viertel des globalen Wachstums bei. Jedes Produkt habe „etwas von China“ in sich. „Wenn Chinas Lieferketten einen Schlag abbekommen, wirkt sich das sicher auf Verfügbarkeit, Preise, Auswahl und so weiter aus“, sagt Wuttke. „China ist wichtig.“ Er fürchtet, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft jetzt mit ihrer schlimmsten Corona-Welle seit Pandemie-Beginn vor zwei Jahren zurückfällt, während der Rest der Welt zur Normalität aufbricht.
Seit dem traumatischen Ausbruch in Wuhan in Zentralchina, wo Ende 2019 die ersten Infektionen entdeckt wurden, verfolgt China recht erfolgreich eine strikte Null-Covid-Strategie. Mit Ausgangssperren, Massentests, Kontaktverfolgung und Zwangsquarantäne konnte das Virus eingefangen werden, sodass Alltag und Wirtschaft normal liefen. Aber mit der Ankunft von Omikron und der sich schnell verbreitenden BA.2-Variante wird die „Null-Toleranz“ auf eine harte Probe gestellt.
Shanghai, das 26 Millionen Einwohner zählende Wirtschafts- und Finanzzentrum Chinas, gleicht einer „Geisterstadt“. Zwar wird beteuert, der Hafenbetrieb laufe „normal“, aber Unternehmen schätzen den Rückgang des Umschlags auf 40 Prozent. Auch wenn der benachbarte Hafen in Ningbo einen Teil auffängt, dürften es noch minus 15 bis 20 Prozent sein. Das Nadelöhr ist vor allem an Land: Lastwagenfahrer wollen nicht nach Shanghai fahren. Sie brauchen Genehmigungen, müssen Corona-Tests machen und fürchten Quarantäne bei der Rückkehr.
Landesweit gibt es Transportprobleme. „Die Versorgung über Provinzgrenzen hinweg ist sehr schwierig“, berichtet Christoph Schrempp von der EU-Kammervertretung in Tianjin. „Lastwagen werden nicht reingelassen, oder Fahrer müssen gewechselt werden.“ Der tägliche Firmenbetrieb werde „im Wesentlichen unplanbar und unvorhersehbar“. 40 Prozent der deutschen Unternehmen in China berichten, dass ihre Beschaffungsketten unterbrochen oder schwer gestört sind. Der Exportweg nach Europa ist für ein Drittel stark betroffen oder ganz abgerissen. Auch 86 Prozent der amerikanischen Hersteller in China berichten von Störungen ihrer Zulieferketten.
Die Null-Covid-Politik „hat uns in der Vergangenheit sicher gehalten“, räumt der für Südchina zuständige EU-Wirtschaftsvertreter Klaus Zenkel ein. „Die gleiche Politik würgt uns jetzt die Luft ab.“ Doch ein Strategiewechsel ist nicht in Sicht. Die Kosten wären auch hoch: Wollte China plötzlich wie andere Länder „mit dem Virus leben“, würde das unterentwickelte Gesundheitssystem zusammenbrechen. Es müsste mit zehntausenden oder hunderttausenden Toten gerechnet werden, je nach Schätzung. Chinesische Experten warnen vor einer „Katastrophe“ und einer „teuflischen Situation“.
„Chinas Festhalten an seiner bisherigen Covid-Strategie hat auch mit dem politischen Narrativ der chinesischen Führung zu tun, die Pandemie besser als andere Länder zu meistern“, sagt Max Zenglein vom China-Institut Merics in Berlin. Deswegen rechnen Beobachter nicht so schnell mit einer Kehrtwende.