Frankfurt – Trotz extrem hoher und vermutlich steigender Inflation in Richtung acht Prozent hält der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) weiter still. Auf seiner Sitzung am Gründonnerstag bekräftigten Präsidentin Christine Lagarde und die anderen 24 Mitglieder des Rates ihre bereits im März geäußerte Position, die Käufe von Anleihen im Laufe des dritten Quartals einzustellen und dann „einige Zeit“ danach höhere Zinsen ins Auge zu fassen. „Das kann eine Woche oder auch mehrere Monate bedeuten“, sagte Lagarde am Donnerstag. Damit könnte die EZB im Laufe des dritten Quartals oder im letzten Vierteljahr erste Zinsanhebungen ins Auge fassen. Dabei würde es aber erst einmal darum gehen, wenigsten den negativen Zins von minus 0,5 Prozent, den Banken bei der EZB für Einlagen bezahlen müssen, in Richtung null zu bewegen. Für die nächste Sitzung am 9. Juni stellte Lagarde konkretere Beschlüsse in Aussicht.
Der Leitzins, zu dem sich Banken und Sparkassen bei der Notenbank Geld besorgen, das sie wiederum in Form von Krediten an Unternehmen und Verbraucher weiterreichen, bleibt weiter auf dem historischen Tief von null Prozent. Weil aber an den Finanzmärkten bereits über Zinserhöhungen diskutiert wird und sie erwartet werden, sind die Zinsen bereits gestiegen. Die als Orientierung für Baukredite wichtige Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe hat längst den negativen Bereich verlassen und liegt mittlerweile bei knapp 0,8 Prozent. Die Zinsen für zehnjährige Hypotheken haben sich deshalb seit Jahresanfang bereits auf mehr als zwei Prozent verdoppelt und werden sich im Laufe des Jahres Richtung drei Prozent bewegen, sagen Experten. Auch die Konditionen für Unternehmenskredite haben sich verschärft. Umgekehrt ist allerdings noch keine Verbesserung bei den Sparzinsen zu sehen. Sie dümpeln weiter um die Marke von null. Zinsen auf Erspartes gibt es nicht.
Laut Christine Lagarde schmälerten steigende Energie- und Rohstoffpreise die Nachfrage und bremsten die Produktion. Dies habe zu einem deutlichen Anstieg der Inflation geführt. Im März hatte sie in der Euro-Zone 7,5 Prozent erreicht, in Lettland und Litauen sogar 15 Prozent, in Deutschland 7,3 Prozent. Die EZB sieht Preisstabilität dagegen bei zwei Prozent erreicht.
Trotzdem will der Rat die Geldpolitik nicht straffen. Lagarde zufolge sieht er sich aber in seiner Einschätzung von März zusätzlich bestätigt, die Anleihekäufe im dritten Quartal zu beenden. Dies gilt als Voraussetzung für Änderungen bei den Zinsen. Die Präsidentin ließ am Donnerstag erkennen, dass dies jetzt eher zu Beginn des dritten Quartals als zum Ende erfolgen könnte, also möglicherweise schon im Juli. „Das Quartal hat drei Monate“, so Lagarde.
Die EZB werde sich in den nächsten Monaten höchstmögliche Flexibilität bewahren, auch im Blick auf die Folgen eines möglichen Öl- und Gas-Embargos gegenüber Russland. Konkretere Entscheidungen im Blick auf mögliche Zinsanhebungen stellt die Französin für die Ratssitzung am 9. Juni in Aussicht. Dann präsentieren die Ökonomen der EZB neue Prognosen für Inflation und Wachstum in der Eurozone.
Volkswirte, Banken und Sparkassen kritisierten die Notenbank massiv für ihre in ihren Augen zu zögerliche Haltung. Die EZB müsse entschlossen gegen die Inflation agieren, sagt etwa Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis. Commerzbank-Chef-Volkswirt Jörg Krämer spricht von einem „riskanten Zögern“, weil sich so in der Wirtschaft und bei Verbrauchern die Erwartung einer noch höheren Inflation verfestigen werde.