Deutschland verliert derzeit international an Reputation. Grund dafür ist die Weigerung, einem Energieembargo gegenüber Russland zuzustimmen. Der Nobelpreisträger Paul Krugman nennt diese Position „beschämend“ und kritisiert die „Verantwortungslosigkeit“ der früheren deutschen Energiepolitik. Die Bundesregierung scheut vor diesem Embargo zurück, da sie massive Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft erwartet – Deutschland hat sich von russischen Energielieferungen zu abhängig gemacht. Krisenmanagement ist notwendig, und hektische Schritte zur Reduktion der Abhängigkeit werden unternommen. Was kann zukünftig besser gemacht werden?
Neben der Produktion vor Ort bietet vor allem auch die Diversifizierung, also der Aufbau paralleler Lieferketten, die Möglichkeit, Abhängigkeiten zu reduzieren. Diversifizierung ist Bestandteil der Einkaufspolitik jedes Unternehmens, „dual-sourcing“- Strategien, also die Vertragsbeziehung mit zwei oder mehr Lieferanten für dieselbe Komponente, sind üblich. Fällt ein Lieferant aus, kann der andere einspringen. Eine Konsequenz der jetzt neu im Fokus stehenden Abhängigkeiten sollte daher sein, Unternehmen diese Diversifizierungen zu erleichtern: Der Aufbau eines LNG Terminals als Infrastruktur erlaubt die Zusammenarbeit mit weiteren Lieferanten von Gas; politisch vorangetriebene Energiepartnerschaften etwa mit den Emiraten öffnen Türen für solche Geschäfte. Ein wichtiges Instrument sind auch internationale Handelsverträge, die Lieferbeziehungen über Grenzen vereinfachen und alternative Märkte öffnen können.
Die EU sollte daher die geplanten Abkommen mit lateinamerikanischen (Mercosur) und asiatischen Staaten (ASEAN) und weitere beschleunigen. Dass etwa CETA, das europäische Handelsabkommen mit Kanada, immer noch nur provisorisch in Kraft ist, ist schwer nachzuvollziehen. Diversifizierung durch Unternehmen ist aber nicht ausreichend, wenn es um systemische Risiken geht, die die Störung der Funktionsfähigkeit eines gesamten Systems verursachen können. Systemische Risiken sind bekannt aus der Finanzkrise 2008/09, in der der Zusammenbruch von Lehmann Brothers das ganze Bankensystem lahmlegte und Staaten mit massiven Hilfsprogrammen einspringen mussten. Systemische Risiken gibt es auch im Energiemarkt, wie sie etwa in Texas 2021 auftraten, als wetterbedingt die Stromversorgung für mehrere Tage unterbrochen war, was zu gravierenden Schäden führte. Die Erfahrung im Umgang mit systemischen Risiken aus diesen Sektoren kann genutzt werden, um solche Risiken auch entlang von Lieferketten zu begegnen. Im Bankensektor wird mittlerweile von den Banken verlangt, dass sie einen „living-will“ schreiben, also schon jetzt dokumentieren, wie sie im Falle einer Insolvenz abgewickelt werden sollen. Die Europäische Zentralbank führt regelmäßig Stresstests durch, um die Resilienz des Bankensektors zu überprüfen. Im Stromsektor setzen viele Länder auf Kapazitätsmärkte, bei denen langfristige Verträge abgeschlossen werden, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Ähnliche Überlegungen sollten in der Planung zu einer stärkeren Souveränität Europas Einzug halten: In wichtigen Feldern sollten Unternehmen nachweisen müssen, dass sie ihre Lieferketten ausreichend diversifiziert haben und dass sie, auch durch langfristige Verträge, gegen Knappheitssituationen abgesichert sind. Stresstests, etwa die Simulation eines Lieferstopps aus China, würden dazu beitragen, die Resilienz der jeweiligen Märkte zu überprüfen.