Krieg bringt globalem Süden Hunger

von Redaktion

Russland und die Ukraine produzieren gemeinsam etwa 30 Prozent des weltweit gehandelten Weizens – wegen des Krieges drohen diese Lieferungen jedoch auszufallen. Dadurch kann es zu einer Hungerkatastrophe kommen, warnt Mario Zappacosta, Leiter des Globalen Informations- und Frühwarnsystems für Ernährung und Landwirtschaft (GIEWS) bei der Welternährungsorganisation FAO.

Wegen des Krieges ist der FAO-Index für Grundnahrungsmittel auf Rekordniveau. Wie beunruhigt sind Sie?

Die meisten Probleme bei der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in vielen ärmeren Ländern etwa in Afrika bestanden schon vor Kriegsausbruch, denken Sie nur an die Preise am Weltmarkt: Schon 2020 und 2021 lagen die Notierungen für Nahrungsmittel auf Rekordniveau. Das hat sich seit Jahresbeginn so fortgesetzt und seit dem Kriegsausbruch sogar noch mal beschleunigt. Allein im März ist der FAO-Sub-Index für Getreide um 24,9 Prozent gegenüber dem Februar gestiegen, beim Sub-Index für Speiseöl ging es binnen Monatsfrist um 23,2 Prozent nach oben. Einen ähnlich drastischen Anstieg auf breiter Front haben wir seit der Einführung des FAO-Lebensmittel-Index 1990 noch nicht erlebt.

Welche Länder werden die Folgen des Liefer-Ausfalls besonders zu spüren bekommen?

Das wird vor allem die Länder in Nordafrika und im Nahen Osten treffen, aber auch die Länder am Horn von Afrika, also Somalia, Äthiopien, Sudan oder Eritrea. Diese Länder hatten in der Vergangenheit wegen extremer Trockenheit, lokalen Konflikten und zuletzt der Covid-Pandemie ohnehin bereits mit enormen Problemen bei der Nahrungsversorgung zu kämpfen. Mit den heftigen Preisanstiegen am Weltmarkt und den Folgen des Ukraine-Konflikts verschärft sich die Lage jetzt noch einmal deutlich.

Wen dürfte es am stärksten treffen?

Wir sehen die größten Gefahren im Jemen und im Libanon. In beiden Ländern basiert die Ernährung sehr stark auf Weizen. Zudem hatten beide Staaten bereits vor dem Kriegsausbruch mit sehr großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Im Jemen tobt seit Jahren ein schlimmer Bürgerkrieg, Unterernährung ist dort weit verbreitet. Mit den Lieferengpässen und den hohen Weizenpreisen könnte die grassierende Unterernährung jetzt zu einer schlimmen Hungersnot führen. Der Libanon steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Landeswährung ist gegenüber anderen wichtigen Währungen wie dem US-Dollar abgestürzt. Das hat die Importe bei Getreide und Lebensmitteln bereits stark verteuert. Dazu kommt, dass das zentrale Weizenlager im Hafen von Beirut bei einer riesigen Explosion im August 2020 vollständig zerstört wurde. Aktuell kann der Libanon Weizen für gerade noch zwei Monate lagern. Deshalb muss das Land jetzt kontinuierlich Weizen auf dem Weltmarkt nachkaufen – und das bei hohen und weiter steigenden Preisen. Wir gehen bei der FAO davon aus, dass alleine durch die Ukraine-Krise weltweit weiteren acht bis 13 Millionen Menschen Unterernährung droht.

Auch Dünger wird immer teurer. Wie gefährlich ist diese Entwicklung für die ärmsten Länder weltweit?

Das ist ein Riesenproblem. Die Produktion von Düngern ist sehr energieintensiv und die Preise für Öl und Gas sind zuletzt ebenfalls stark gestiegen. Damit dürften auch die ohnehin bereits historisch hohen Preise für Dünger weiter anziehen. Viele Bauern in den ärmeren Ländern werden sich Dünger damit kaum noch leisten können und weniger anbauen oder genauso viel anbauen wie zuvor, aber weniger Ertrag erzielen. Das gilt ja nicht nur für den Weizenanbau, sondern für alle Arten von landwirtschaftlichen Nutzpflanzen, ob Gemüse, Futterprodukte oder Reis.

In Sri Lanka sind wegen Engpässen bei der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gerade schwere politische Unruhen ausgebrochen.

Wir wissen aus der Historie: Wenn die Preise für Grundnahrungsmittel steigen, führt dies häufig zu Unruhen und Aufständen. Natürlich können Regierungen Grundnahrungsmittel mit staatlichen Hilfszahlungen subventionieren oder die Lage auf andere Weise stützen. Aber das hängt stark von den jeweiligen finanziellen Möglichkeiten ab. Wenn ein Land arm ist und die Preise am Weltmarkt stark steigen, wird die Lage immer komplizierter. Irgendwann kommt der Punkt, wo sich Regierungen entscheiden müssen: Investieren wir in Infrastruktur, Gesundheit oder Bildung – oder in Nahrungsmittel?

Was bedeutet die Ent-wicklung für humanitäre Hilfen?

Wegen des Krieges fließt derzeit ein erheblicher und wachsender Betrag an öffentlichen und privaten Hilfsgeldern in die Ukraine. Der absolute Betrag der Hilfsgelder steigt aber nicht, das Geld fließt jetzt nur woanders hin. Nehmen Sie das Beispiel Somalia: Das Land hat mehrere Milliarden an Hilfsgeldern beantragt, aber bisher nur einen Bruchteil davon erhalten.

Interview: Thomas Schmidtutz

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