Washington/Frankfurt – Man spürt es im Supermarkt, an der Tankstelle, bei den Heizkosten: Die Inflation zieht an, zuletzt auch befeuert durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Lange haben die Zentralbanken an der Überzeugung festgehalten, dass der Anstieg der Preise infolge der Pandemie, aufgrund hoher Energiepreise und stockender Lieferketten nur „vorübergehend“ sei.
Die Inflation im Zaum zu halten, ist die klassische Aufgabe der Notenbanken. Dafür nutzen die Federal Reserve (Fed) in den USA, die Europäische Zentralbank (EZB) und andere vor allem das Instrument des Leitzinses. Die vereinfachte Idee: Senken sie den Zins, können sich mehr Privatleute und Unternehmen einen Kredit leisten, was zu höheren Ausgaben, wachsender Wirtschaft und steigender Inflation führt. Andersrum funktioniert es theoretisch, wenn die Zinssätze steigen: Bürger und Wirtschaft leihen sich weniger Geld oder müssen für Kredite mehr ausgeben, das Wachstum nimmt ab, Unternehmen können höhere Preise nicht mehr einfach weitergeben und die Inflation sinkt.
Als die Inflationsraten im Winter anzogen, die wirtschaftlichen Aussichten vor dem Ukraine-Krieg aber noch gut waren, griffen einige Zentralbanken genau zu diesem Mittel: In Großbritannien, Norwegen, mittel- und osteuropäischen Ländern wurden die Leitzinsen erhöht. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine aber hat sich die Wirtschaft eingetrübt, der Inflationsdruck dagegen nimmt zu. Im Euroraum erreichte die Teuerungsrate im März mit 7,4 Prozent den höchsten Stand seit Einführung des Euro 1999. „Damit steht die Geldpolitik vor einem Zielkonflikt zwischen Preis- und Produktionsstabilisierung“, betonten führende Wirtschaftsforscher kürzlich. Für die Notenbanken ist es ein Balanceakt: Erhöhen sie die Zinsen zu schnell oder kräftig, könnten Konjunktur und Arbeitsmarkt abgewürgt werden. Finanzminister Christian Lindner (FDP) warnt deswegen bereits vor einer drohenden „Stagflation“, jenem toxischen Mix steigender Preise, wirtschaftlicher Stagnation und Arbeitslosigkeit. Würden jetzt auch noch höhere Löhne verhandelt, könne es ganz schnell zu einer gefährlichen Spirale kommen, sagt er. Unter anderem deswegen sind Europas Währungshüter vorerst vorsichtig mit Zinserhöhungen. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel wirbt bei der IWF-Frühjahrstagung in Washington für Umsicht. „Eine geldpolitische Vollbremsung wäre hingegen nicht sinnvoll“, sagt er. Man dürfe nicht zu hastig an der Zinsschraube drehen. Doch die EZB muss sich wegen ihres Zögerns viel Kritik anhören. Doch es zeichnet sich ein Ende der ultralockeren Geldpolitik ab. Nagel stellte in Washington in Aussicht, die EZB könnte ihre Zinsen schon im Juli anheben – früher als bisher gedacht. Erste Zinsschritte seien zu Beginn des dritten Quartals möglich, sagte er. Das könne zwar erst geschehen, wenn die Notenbank kein frisches Geld mehr in Anleihen stecke – so weit sei man aber möglicherweise Ende des zweiten Quartals.
Doch auch die wirkungsvollste Waffe im Arsenal der Notenbanken, der Leitzins, kann die Ursachen der aktuellen Preissteigerungen nur begrenzt beeinflussen. Die Unterbrechungen globaler Lieferketten, die weitreichenden Corona-Lockdowns in China, der Krieg in der Ukraine und steigende Energiepreise reagieren nicht direkt auf den Leitzins.