München – Die Zukunft von BMW beginnt in Ungarn. „Debrecen wird die erste Autofabrik der Welt, die vollständig auf den Einsatz fossiler Energieträger verzichtet“, schwärmt Milan Nedeljkovic. Als der BMW-Produktionsvorstand das sagt, surrt und klopft es gedämpft durch dicke Scheiben, die die Büroräume von einer Fertigungsstraße im Stammwerk München trennen. BMW stellt die Zukunft des Autobaus dort vor, denn das neue Werk Debrecen geht erst 2025 in Betrieb.
Es ist nicht irgendeine Fabrik, macht Nedeljkovic klar. Vielmehr werde es das erste seiner Art, nach dessen Vorbild alle BMW-Werke umgebaut werden, um im Autobau den Takt branchenweit vorzugeben. Das Vorhaben reflektiert auch hochaktuelle Probleme. „Wir können auf Gas verzichten und unsere Energie selbst auf dem Werksgelände erzeugen“, sagt der BMW-Vorstand zu einem Element der iFactory. Geothermie und Solarzellen statt russischem Gas, heißt das in Debrecen. Wichtig ist das, weil sich Energieverbrauch im Autobau branchentypisch bisher zu 70 Prozent aus Gas und 30 Prozent aus Strom speist. Insofern setzt ein gasfreies Debrecen echte Maßstäbe. Nachhaltigkeit ist eine Säule der neuen BMW-Produktionsphilosophie. Neben CO2-freier Fertigung bedeutet das vor allem auch Kreislaufwirtschaft, die Nedeljkovic von bloßem Recycling unterscheidet. „Bei Zirkularität wird aus einem alten Sitzbezug ein neuer Sitzbezug“, erklärt er den Unterschied zum Wiederverwerten für andere Produkte. Ressourcenschonend produziere BMW schon heute. So fielen im Münchner Stammwerk pro Auto gerade einmal 2,6 Kilogramm Abfall an. Nun werden selbst Aluspäne zum Teil der neuen Zirkularität.
Um fast ein Drittel konnte BMW von 2016 bis 2019 bereits den Ausstoß des Klimakillers Kohlendioxid (CO2) pro Fahrzeug in der Fertigung senken. Bis 2025 soll er verglichen mit 2019 um weitere 40 Prozent und bis 2030 um 80 Prozent schrumpfen. Das Konzept der iFactory mit dem Prototyp in Debrecen macht das möglich. Im Kern ist sie eine neue und speziell auf Elektromobilität ausgerichtete Produktionsarchitektur, was nicht bedeutet, dass BMW Verbrennern abschwört oder sie mit einem Verfallsdatum versieht. „Wir können damit in allen Werken alle Antriebsvarianten von vollelektrisch über Hybrid bis Verbrenner auf einer Linie bauen“, sagt BMW-Montageplaner Torsten Krzywania vielmehr. Einzigartig flexibel sei die iFactory auch, wenn Produktion schnell herunter- und wieder hochgefahren werden muss, weil gerade eine Pandemie ausbricht oder Lieferketten wackeln, Teile fehlen und Ausstattungsdetails kurzfristig umgeplant werden müssen. Flexibilität sei der Erfolgsfaktor schlechthin, wenn sich Kundennachfrage schnell verschiebt und plötzlich in einem bestimmten Markt alle vollelektrische Autos wollen, betont Nedeljkovic. BMW geht nicht davon aus, dass Elektromobilität weltweit überall gleichzeitig ihren Durchbruch erlebt. „Volumenflexibel sein“, nennt der Manager das.
Schon heute könne ein BMW-Kunde bis zu sechs Tage vor Produktionsstart seines Wunschautos noch Spezifizierungen wie Farbe oder Sitzbezüge ändern. Die iFactory hat auch ein digitales Standbein, dessen Elemente teils schon im Münchner Stammwerk zu sehen sind. „Das ist vorausschauende Instandhaltung“, erklärt ein BMW-Montageexperte. Er weist auf Sensoren, mit denen die elektrische Hängebahn bestückt ist, die Karosserien durch die Montagehalle fährt. Das Besondere daran, das BMW sich auch hat patentieren lassen, ist künstliche Intelligenz, die alle in Echtzeit von den Sensoren gesammelten Produktionsdaten analysiert. „Die Anlage meldet sich, bevor sie kaputtgeht, und das ohne Fehlalarme“, sagt der BMWler stolz. Dann werde rasch repariert, bevor ein Defekt die Anlage stilllegt. Eine komplette Schicht Stillstand erspare derart vorausschauende Wartung pro Werk und Jahr, was einem Produktionsvolumen von rund 500 Autos entspricht. „Die Digitalisierung steht am Kipppunkt, jetzt geht es los“, sagt Nedeljkovic und meint Digitalisierung in der Produktion. Deshalb gibt es so etwas Ähnliches wie Streetview von Google ab Ende 2022 auch für alle BMW-Werke weltweit.
Die Münchner vermessen ihre Fabriken digital und dreidimensional, um so digitale Zwillinge zu erstellen, die dann Fertigungsplanern weltweit rund um die Uhr zur Verfügung stehen. „Die iFactory bringt einen Effizienzgewinn von einem Viertel“, glaubt Nedeljkovic. Stellenabbau bedeute das nicht, versichert er. Der eine oder andere Arbeitsplatz würde zwar schon wegfallen. „Aber BMW ist ein wachsendes Unternehmen, dadurch sehen wir kein Personalproblem“, erklärt der Manager.