München – Kaum ein Mensch hat so viel Erfahrung mit elektrischen Bussen wie Heinrich Degenhart. Doch selbst der 60-Jährige, der gerade in einem siebenköpfigen Team von MAN einen Stadtbus quer durch Europa fährt, ist vor Überraschungen nicht gefeit.
Für die ersten drei Routen wählte er die Strecken mit starken Steigungen und Gefällen. Auf dem Weg von München nach Innsbruck nicht das flache Inntal, sondern Mittenwald und den Zirler Berg. Dann durch die Schweiz von Sankt Moritz über Zürich ins Rheintal über den 2284 Meter hohen Julierpass.
Dort oben bei null Grad muss die empfindliche Batterie temperiert werden. Das kostet wertvolle Energie. Doch tatsächlich schlug sich der Lion’s City E gerade in den Bergen besonders gut und sparsam. Bergab speiste er – eine Art rollendes Kraftwerk – mehr Energie in den Stromspeicher zurück, als er vorher beim Anstieg zusätzlich verbraucht hat.
Warum das so kam, kann sich keiner erklären. Auf jeden Fall hat Degenhart auch beim steilsten Gefälle die Betriebsbremse nicht einsetzen müssen. „Nicht ein einziges Mal“, sagt er. Bei ihr würde die Bewegungsenergie als nutzlose Abwärme verpuffen. Doch die Motoren haben mit ihrer Bremswirkung alles in wieder nutzbaren Strom für die Batterie verwandelt.
Die Fahrt führt weiter nach Straßburg, Richtung Luxemburg und ab heute über Belgien mit der Europa-Hauptstadt Brüssel erneut durch Frankreich nach Cherbourg. Von dort aus setzt die kleine Reisegruppe per Fähre zum irischen Hafen Rosslare über. Die letzte Etappe führt quer über die Grüne Insel nach Limerick.
Das Ziel hat MAN nicht zufällig gewählt. In der Stadt am River Shannon bestimmt vom 9. bis 12. Mai eine Internationale Jury den „Bus of the Year“. MAN rechnet sich da gute Chancen aus. Während andere ihre Busse auf Transportern nach Irland verfrachten, rollt der Lion’s City E auf eigener Achse zum Wettbewerb. Für den müsste es auch der auf langen Reisen wenig komfortable Stadtbus sein. Denn die Meisterschaft der Reisebusse um den „Coach of the Year“ wird erst wieder 2023 ausgetragen.
Mit 0,5 bis 0,7 Kilowattstunden pro Kilometer beziffert Degenhart den Verbrauch auf der Tour. Beim Tagesziel Innsbruck war die Batterie noch zu 65 Prozent voll, in St. Moritz zu 37 Prozent, in Zürich zu 56 Prozent und in Straßburg zu 53 Prozent.
Laden bleibt aber ein Problem: In Straßburg wurde als Ladeplatz die örtliche MAN- Niederlassung ausgewählt, die mit reichlich Stromanschlüssen ausgestattet ist. Das sollte locker reichen. Tat es aber nicht. Heinrich Degenhart holte das Ladegerät aus dem Bus, steckte die Anschlüsse an. Doch das Gerät blinkte dauerhaft blau: keine Verbindung.
Mit einem zweiten Stecker ging es. Die Stromstärke, die der Batterie zufloss, schwankte aber stark, weshalb Degenhart die Stromstärke von 32 auf haushaltsübliche 16 Ampere drosselte. Zufrieden war er auch damit nicht. Denn wenn die Spannung nur kurz zu stark absinkt, wird der Ladevorgang abgebrochen. Im schlimmsten Fall ist am nächsten Morgen die Batterie so halb voll – wie schon am Vorabend.
Knackpunkt bei der Elektromobilität, insbesondere bei Bussen, bleibt die Ladeinfrastruktur. Oft harmonieren Stromanschlüsse, Ladegeräte und die Leistungselektronik im Fahrzeug nicht. Und man weiß oft nicht, welcher Bereich gerade die Mimose ist.
Dass die Reisebusse mit über 500 Kilometern Reichweite auf der Reise nach Irland und garantierten 350 Kilometern im Stadtverkehr die Energie für ein Mehrfaches ihrer Tagesfahrleistung als Energievorrat an Bord haben, sichert den Alltagseinsatz ab.
Es wird eine logistische Herausforderung, dass immer alle mit der ausreichenden Energie unterwegs sind, sagt Florian Rott, der für das Marketing des Busses verantwortlich ist. „In Hamburg wurde bereits ein Betriebshof aus der Innenstadt zu einem Umspannwerk verlegt“, sagt Degenhart, weil dort ausreichend Energie zu holen ist. Und wenn in einem Hotel mit Ladeinfrastruktur für 50 Kilowatt ein einziger Bus angestöpselt wird, dann, so Degenhart, „lädt kein anderer mehr“.
Nicht auszumalen, was an Autobahn-Rastplätzen geschieht, wo 60 oder 90 Lkw gleichzeitig ihre Zwangs-Ruhepausen zum Vollladen der Batterien nutzen wollen. Die Elektroinfrastruktur bleibt die größte Baustelle für den Erfolg der Elektromobilität. Und der Baufortschritt bleibt, wie die Erfahrungen des Bus-Tour zeigen, trotz aller Bemühungen hinter den Ankündigungen zurück.