Frankfurt – Der Aktienmarkt steckt weiter im Krisenmodus. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Deutlich unter der Marke von 14 000 Punkten schließt der Deutsche Aktienindex Dax die erste Handelswoche im Mai. Da werden Erinnerungen an eine vermeintliche Börsenweisheit wach: Sell in May and go away – verkaufe im Mai und verschwinde. Ob das freilich ein guter Rat ist? Jedenfalls hat sich ein solcher Weg in der Vergangenheit nicht immer als sinnvoll erwiesen. Laut Handelsblatt hat der Dax in den vergangenen 33 Jahren in 18 Jahren verloren und in 15 zugelegt. „Heutzutage ist die Mai-Börsenweisheit nicht viel überzeugender als die Wetterweisheit der Eisheiligen“, sagt Robert Halver von der Baader Bank. Es mache für Anleger keinen Sinn, auf „diesen saisonalen Börsenkalauer“ zu setzen.
Freilich: Aktuell sind die Umstände deutlich schwieriger als in den vergangenen Jahren. Der russische Überfall auf die Ukraine hat auch für den Aktienmarkt sehr viel verändert. Abgesehen vom menschlichen Leid in der Ukraine sind die Folgen auch hierzulande drastisch: rasant gestiegene und weiter steigende Energiepreise, eine galoppierende Inflation, Eintrübung der Konjunkturaussichten. Dazu kommen anziehende Notenbank-Zinsen und die nicht überwundene Corona-Pandemie. Vor allem die Lage in China mit umfassenden Lockdowns ist höchst problematisch. Lieferketten werden noch stärker belastet, als sie es ohnehin schon sind.
„Die Einschläge kommen näher“, sagt Markus Wallner, Aktienstratege der Commerzbank, auch mit Blick auf die Unternehmen. Zwar hätten viele Konzerne mit ihren Zahlen für das erste Quartal die Erwartungen übertroffen. „Allerdings zeigen die hohen Produktionskosten und der Mangel an Vorprodukten Wirkung, sodass immer mehr Unternehmen ihre Geschäftsziele für das laufende Jahr senken.“ Dieser Trend wird sich nach Ansicht von Wallner angesichts des eingetrübten Wirtschaftsumfeldes in den nächsten Quartalen fortsetzen. Ein problematisches Signal für den Aktienmarkt. In den steigenden Zinsen sieht Ulrich Kater, Chef-Ökonom der DekaBank, derzeit das größte Problem. Die US-Notenbank Fed wird dem jüngsten Zinsschritt von 0,5 Punkten nach oben wegen der hohen Inflation bald weitere folgen lassen. Die Europäische Zentralbank dürfte im Sommer mit den ersten Zinsanhebungen seit mehr als sechs Jahren beginnen. Trotzdem sieht nicht nur Kater Wertpapieranlagen weiter im Vorteil. „Selbst wenn es 2023 wieder minimale Zinsen auf dem Sparkonto geben sollte, reichen diese nicht aus, um die Inflation auszugleichen.“
ROLF OBERTREIS