München – Es geht um Arbeitsplätze in Deutschland. „Die Russland-Sanktionen haben ihren Preis und das ist einer davon“, sagt ein potenziell Betroffener beim Anlagenbauer Linde in Pullach, im südlichen Landkreis München. Bei einer Betriebsversammlung wollten Beschäftigte dort am Donnerstag vom Management erfahren, was die gegen Russland verhängten Sanktionen für den eigenen Arbeitsplatz bedeuten. Aber das ist noch nicht entschieden, wobei der Einschlag im Auftragsbestand gewaltig ist.
Weil der zu rund zwei Dritteln an Russland-Aufträgen vor allem des dortigen Staatskonzerns Gazprom hängt, sind Arbeitspakete in dieser Dimension sanktionsbedingt über Nacht weggebrochen – mit unausweichlichen Folgen für die Jobs. Der Personalstand müsse an den Auftragsbestand angepasst werden, haben Manager beim Personaltreffen nach Angaben eines Beteiligten ausweichend und vage erklärt.
Eine Halbierung des Personals bedeute das aber nicht, versichert ein Betriebsrat. Auch ihm ist jedoch klar: „Es wird nicht ohne Personalabbau gehen, wir müssen durch ein Tal der Tränen.“ In der Linde-Sparte Anlagenbau arbeiten bundesweit an drei Standorten rund 3300 Beschäftigte, gut zwei Drittel davon in der Pullacher Zentrale. Ziel von Betriebsrat und IG Metall ist es, möglichst viel durch sanfte Instrumente wie Kurzarbeit oder Sabbaticals, also Langzeiturlaube von bis zu einem Jahr, abzufedern. Ob und in welchem Umfang sich das Linde-Management darauf einlässt, ist allerdings ungewiss.
Die Konzernleitung sitzt seit der Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair im Jahr 2019 in den USA und entscheidet von dort aus über die Geschicke des Personals in Deutschland. Den seit März neuen Linde-Chef Sanjiv Lamba kennen die Linde-Beschäftigten in Pullach als empathischen Menschen. Aber sein Vorgänger Steve Angel ist aus einem anderen Holz geschnitzt. Er ist Linde- Aufsichtsratschef, was in der US-Interpretation dieses Postens einige Machtfülle mit sich bringt. Das Linde-Personal fürchtet, dass Angel eine harte Gangart bevorzugt und schnell Jobs abbauen will, um Renditen zu halten.
Mit Hochdruck versucht Linde auch den Auftragsbestand zum Bau komplexer Industrieanlagen wieder aufzustocken. „Aber es wird zwei bis drei Jahre dauern, bis wir wieder auf dem alten Niveau sind“, schätzt man im Konzern. Große Hoffnungen setzt er auf Wasserstoff-Anlagen als wesentlichen Teil der Energiewende. Aber bis hier Großaufträge spruchreif werden, dauere es noch einige Zeit.
Diese Durststrecke zwischen weggebrochenen Russland-Aufträgen und der neuen technologischen Zukunft muss nun überbrückt werden. Das Unternehmen selbst schweigt zur Bewältigung aktueller Auslastungsprobleme. Die Belegschaft rechnet binnen sechs Wochen mit Entscheidungen durch US-Manager. „Das Sagen haben die Amerikaner“, ist den Linde-Beschäftigten in Deutschland klar. Sie hoffen nun auch auf die Politik. Denn in Asien müssen neue Anlagen zur Gasverflüssigung gebaut werden, will Deutschland von dort in absehbarer Zeit Ersatz für russisches Pipelinegas beziehen. Bundespolitiker sollen sich dafür stark machen, dass Linde solche Aufträge erhält, sagen Linde-Beschäftigte und hoffen, dass das kein frommer Wunsch bleibt.