Der russische Angriff auf die Ukraine hat in den vergangenen drei Monate die Corona-Pandemie und erst recht den Klimawandel von den Titelseiten der Zeitungen verdrängt. Die jüngsten Nachrichten aus der Klimaforschung blieben weitgehend ohne große öffentliche Resonanz, obwohl sie keineswegs an Dramatik verloren haben: Anfang Mai veröffentlichte die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) eine Prognose, nach der es mit rund 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit bereits bis 2026 ein Jahr geben könnte, in dem die globale Durchschnittstemperatur mehr als 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau liegt. Ein so rasanter Temperaturanstieg galt vor wenigen Jahren noch als sehr unwahrscheinlich.
Nicht zuletzt hatte sich die Weltgemeinschaft im Pariser Klimaabkommen darauf geeinigt, die globale Erwärmung dauerhaft auf deutlich unter zwei Grad und möglichst unter 1,5 Grad zu beschränken. Dass diese Schlacht bereits verloren sein könnte, bevor die Bemühungen um den globalen Klimaschutz so richtig Fahrt aufnehmen, war nicht die Verhandlungsgrundlage.
Nun zeigt der aktuelle Bericht der WMO, wie schnell uns im Kampf gegen den Klimawandel die Zeit davonläuft. Doch mit den aktuell beschlossenen oder vielfach bislang nur politisch diskutierten Emissionsreduktionen wird es nicht gelingen, die globale Erwärmung im angestrebten Rahmen zu halten. Das hatte auch schon die Auswertung von Klimamodellen des Weltklimarates gezeigt. Angesichts dieser ernüchternden Fakten wird es unausweichlich sein, einen Teil des bereits ausgestoßenen Kohlendioxids wieder aus der Atmosphäre zu entfernen.
Diese sogenannten negativen Emissionen können beispielsweise über Aufforstung und spezielle Formen der Landbewirtschaftung erreicht werden. Daneben gibt es verschiedene technologische Lösungen, die zum Teil technisch noch nicht voll ausgereift und deren Risiken noch nicht ausreichend erforscht sind – zum Beispiel Verfahren, bei denen CO2 aus der Luft entnommen und unterirdisch gespeichert wird.
Negative Emissionen spielen in der politischen Diskussion bislang eine untergeordnete Rolle. Skeptiker befürchten, dass negative Emissionen dazu verleiten könnten, bei der Reduzierung von Emissionen nachzulassen. In der Tat muss nach wie vor die Vermeidung von Treibhausgasen im Mittelpunkt der globalen Klimapolitik stehen, durch die Umstellung auf Erneuerbare Energien und auf grüne Verkehrstechnologien sowie eine nachhaltigere Land- und Forstwirtschaft. Dennoch kann die Erderwärmung ohne negative Emissionen in keinem einzigen bisher gerechneten Klimaschutzszenario auf unter 1,5 Grad begrenzt werden.
Dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe: Erstens lassen sich manche Emissionen kaum vermeiden, dies gilt insbesondere für die Landwirtschaft. Zweitens wird es nach jetzigem Stand auch in den anderen Sektoren kaum gelingen, die Emissionen schnell genug zu reduzieren. Wir brauchen letztlich beides: die weitgehende Vermeidung von Emissionen und gezielt verfolgte negative Emissionen.
Politik und Gesellschaft müssen sich daher offen mit den Chancen, Risiken und Nebenwirkungen von negativen Emissionen auseinandersetzen und die Frage beantworten, welchen Stellenwert negative Emissionen in der Klimaschutzstrategie haben sollen. Zudem ist zu klären, welche Verfahren in welchen Bereichen zur Anwendung kommen könnten.
Aus ökonomischer Perspektive wird es insbesondere darauf ankommen, die richtigen Anreize zu negativen Emissionen zu setzen. Dabei geht es unter anderem darum, ob Emissionen durch CO2-Entnahme im gleichen Land ausgeglichen werden können und ob es für negative Emissionen ebenfalls einen internationalen Emissionshandel geben sollte.