Der Süden verliert, der Norden gewinnt

von Redaktion

VON ANDREAS HÖSS

München/Köln – Wirtschaftlich ist Bayern in Deutschland weiter spitze: Ganze 13 der 20 ökonomisch stärksten Landkreise der Bundesrepublik liegen laut einem Ranking des Instituts für Wirtschaft (IW) im Freistaat. Vor allem der Großraum München sticht heraus. Mit München Stadt und Land, Starnberg, Ebersberg und Miesbach sind gleich fünf Landkreise aus der Metropolregion unter den zehn wirtschaftlich stärksten Gebieten in Deutschland. Und in den Top 30 der 400 untersuchten deutschen Regionen finden sich ebenfalls viele Namen aus dem Münchner S-Bahnnetz wie Wolfratshausen, Dachau, Freising und Erding.

„Im Münchner Umland stimmt einfach der Mix aus starker Wirtschaftsstruktur, geringer Arbeitslosigkeit, großer Kaufkraft und hoher Lebensqualität“, erklärt IW-Forscherin Dr. Vanessa Hünnemeyer. Für das Ranking haben sie und ihre Kollegen Hanno Kempermann und Johannes Ewald insgesamt 14 Faktoren wie das Gewerbesaldo, die gemeindliche Steuerkraft, den Anteil hoch qualifizierter Arbeitskräfte, den Zu- und Wegzug, die Altersstruktur, den Anteil überschuldeter Haushalte sowie die Zahl der Straftaten, Baugenehmigungen und Grünflächen ausgewertet. München habe besonders durch die starke Industrie, seine vielen Konzerne, zahlreichen Start-Ups und großen Universitäten ein gutes Innovationsumfeld geschaffen, das über die Grenzen der Stadt hinaus viele qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze produziert, so die Wirtschaftsgeografin. Ein Glück sind auch die nahen Berge, Seen und das schöne Alpenvorland. Hier lebt man gerne, auch deshalb ziehen viele Menschen in die Region. Firmen und Forschungseinrichtungen finden leicht gutes Personal aus aller Welt.

Die Freude über das gute Abschneiden der Metropole wird jedoch etwas getrübt. In anderen Teilen der Republik ist die wirtschaftliche Dynamik nämlich weitaus größer. Unter den wirtschaftlich aufstrebenden Landkreisen sind aus Bayern nur Tischenreuth in der Oberpfalz und Erlangen. Ansonsten finden sich dort viele Namen aus dem Westen und Norden der Bundesrepublik, zum Beispiel Kiel, Speyer, Leverkusen, Wuppertal oder Dortmund. Einer der Gründe: Der Norden und der Westen sind näher an den riesigen Windparks auf hoher See als der Süden der Republik. „Diese grüne Energie wird zum Standortvorteil“, sagt Vanessa Hünnemeyer. Und auch Freiflächen für die Ansiedelung neuer Unternehmen gibt es dort noch mehr.

Insgesamt sieht das IW vor allem bei der Dekarbonisierung und der Digitalisierung große Aufgaben auf die Regionen zukommen. Da passt es ins Bild, dass Tirschenreuth seinen Höhenflug nicht zuletzt dem nachhaltigen Holzbauer Ziegler Group zu verdanken hat, der sich langsam, aber sicher zum Großkonzern mausert. Die bayerischen Autostädte Ingolstadt (Audi) und Dingolfing (BMW) gehörten dagegen wie Wolfsburg (VW) in Niedersachsen zu den Städten mit der schwächsten Dynamik. Wegen der vielen Kurzarbeit fehlte es hier an Steuereinnahmen. In Ingolstadt hat sich zudem die Lebensqualität stark verschlechtert. Die Stadt hat viele Einwohner verloren, Ärzte haben geschlossen, die Zahl der Baugenehmigungen ist drastisch gefallen, die Zahl der Straftaten dagegen gestiegen. Der Arbeitsmarkt sei dort trotzdem robust, so die Forscher.

Panik ist laut den IW-Ökonomen dennoch nicht angebracht. Das schwächere Abschneiden Bayerns bei der Wirtschaftsdynamik sei bisher nicht mehr als eine erste Tendenz. Der Freistaat habe lange Jahre gute Wirtschaftspolitik, Forschungsförderung und Strukturpolitik betrieben. „Vor allem im Raum München ist die Wirtschaftsstruktur so stark, dass Bayern in den nächsten Erhebungen wohl nicht drastisch abstürzen wird“, räumt Vanessa Hünnemeyer ein. Mit Blick auf die Zukunftsaufgaben Digitalisierung und Dekarbonisierung sieht sie aber dennoch Handlungsbedarf. „Hier muss die Politik Lösungen finden.“

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