Wer haftet – Mensch oder Maschine?

von Redaktion

VON CAROLINE MIDDERHOFF

Autoversicherungen sind fast so alt wie das Auto selbst. 1886 meldet Carl Benz seinen damaligen Motorwagen zum Patent an. Erste Haftpflichtversicherungen sind seit 1900 auf dem Markt. Aber noch nie mussten autonom fahrende Fahrzeuge versichert werden. Haftet im Ernstfall der Mensch oder die Maschine?

Sowohl bei Level eins als auch bei Level zwei haftet der Fahrer. Er übernimmt jederzeit die volle Verantwortung für das Auto. Ein typisches Assistenzsystem eines Level- eins-Fahrzeuges wäre der Tempomat. Level-zwei-Autos verfügen beispielsweise über einen Überholassistenten oder einen Einparkpilot.

Für autonome Fahrzeuge muss ein neuer Rechtsrahmen im Straßenverkehr abgesteckt werden. Veraltete Gesetze haben die Entwicklungen in Deutschland und innerhalb der EU lange gebremst. Das „Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968“ ist bis heute die Grundlage des Straßenverkehrsrechts in über 80 Ländern – auch in Deutschland.

Artikel acht dieses Übereinkommens besagt unter anderem, dass jedes Fahrzeug, das sich in Bewegung befindet, zwingend einen Fahrer haben muss. Zudem muss der Fahrer zu jeder Zeit die volle Kontrolle über das Fahrzeug besitzen. 2014 brachten Deutschland, Österreich, Belgien, Italien und Frankreich einen Änderungsvorschlag des Wortlautes ein. Dieser trat 2017 auch in Deutschland in Kraft und ebnete den Weg für einen geeigneten Rechtsrahmen bei autonomen Autos.

In Hinblick auf das Haftungsrecht stellt sich die Frage: Haftet bei Unfällen der Fahrer, der Halter oder der Hersteller? Auch bei autonomen Fahrzeugen greift der Grundsatz eines umfassenden und unkomplizierten Opferschutzes. Analog zu herkömmlichen Fahrzeugen gilt auch bei autonomen Autos die sogenannte Gefährdungshaftung. Der Halter eines Fahrzeugs haftet dabei verschuldensunabhängig, wenn jemand bei dessen Betrieb zu Schaden gekommen ist. Für Versicherungen ist es hier nicht wichtig, ob ein Mensch oder eine Software das Auto steuert.

Im Bereich der Verschuldenshaftung ändert sich für autonome Autos bis einschließlich Level vier nichts. Level-vier-Fahrzeuge gelten als hochautomatisiert und besitzen beispielsweise einen Autopiloten. Für vollautonome Autos des Levels fünf gibt es aktuell noch keine Lösungsansätze. Im Hinblick auf autonome Fahrzeuge rückt auch die Frage der Haftung des Herstellers immer mehr in den Fokus. Je autonomer ein Auto fährt, desto mehr sind Unfälle auf die Software-Systemsteuerungen und damit an den Hersteller geknüpft. Laut Karsten Crede, Geschäftsführer der Ergo Mobility Solutions (EMS), würde es sich dabei um einen potenziellen Produkthaftungsfall handeln. Die 2017 gegründete EMS stellt die Schnittstelle der Ergo zur Automobil- und Mobilitätsindustrie dar. In der aktuellen Gesetzeslage wäre ein Produkthaftungsfall für autonome Fahrzeuge schwierig umzusetzen. Sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene wird aktuell darüber diskutiert, ob und wie Hersteller in die Verantwortung genommen werden, wenn Produkte auf künstlicher Intelligenz und Robotik basieren.

Neben der Rechtslage muss sich die Versicherungsbranche auch einem ethischen Diskurs stellen. In den letzten Jahren starben laut Statistischem Bundesamt jährlich etwa 3000 Menschen bei Verkehrsunfällen. „Wären Sie bereit, eher 500 Verkehrstote durch fehlerhafte Algorithmen zu akzeptieren als 3000 Tote durch menschliches Versagen?“, fragt Karsten Crede. Die Ethik-Kommission Deutschland hat hierzu insgesamt 20 Regeln formuliert. Aufrechnung von Menschenleben ist laut Ethik-Kommission strikt verboten. Eine allgemeine Programmierung des Systems, das auf eine Minderung der Zahl von Personenschaden geht, sei jedoch vertretbar. Bis heute fußen Risikobewertungen für Fahrzeuge auf historischen und personenbezogenen Daten. Beides existiert für autonome Fahrzeuge nicht. Die Versicherungsbranche muss sich von Grund auf neu erfinden. Denkbar wären beispielsweise Risikobewertungen, die auf der Grundlage von Algorithmen, Software und Hardware autonomer Fahrzeuge basieren.

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