Berlin/München – Angesichts der deutlich verringerten Gaslieferungen aus Russland hat die Bundesregierung die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausrufen. „Aktuell ist die Versorgungssicherheit gewährleistet, aber die Lage ist angespannt“, teilte das Wirtschaftsministerium mit.
Der Notfallplan hat drei Stufen: Die jetzt ausgerufene Alarmstufe ist die zweite. Die dritte wäre die Notfallstufe. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was ist der Notfallplan Gas?
Der Notfallplan hat drei Eskalationsstufen und eröffnet der Regierung dabei unterschiedlich große Handlungsspielräume. Die erste Stufe ist die Frühwarnstufe, es folgen die Alarmstufe und die Notfallstufe. Die Frühwarnstufe hatte die Bundesregierung bereits Ende März erstmals ausgerufen, sie ermöglicht eine genaue Beobachtung des Gasmarkts unter Leitung des Wirtschaftsministeriums. Aktiv greift der Staat noch nicht in den Gasmarkt ein, die Marktakteure müssen selbstständig mehr Gas beschaffen, um die Gasspeicher bestmöglich zu füllen.
Was bedeutet die Alarmstufe?
Die Alarmstufe ist ein deutliches Signal an Industrie und private Verbraucher: Der Gasverbrauch muss sinken, um einen Mangel im kommenden Herbst und Winter zu verhindern. Aktive Eingriffe sind erst in der dritten und letzten Notfallstufe möglich. Die Bundesregierung kann unterstützend tätig werden – beispielsweise indem sie Gasversorgern mit Krediten aushilft.
Warum kommt die Alarmstufe jetzt?
Russland hatte seine Gaslieferungen durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 zuletzt um rund 60 Prozent verringert. Das mittlerweile in Gesetzesform festgeschrieben Ziel der Bundesregierung, die deutschen Gasspeicher bis zum November zu 90 Prozent gefüllt zu haben, ist somit nur noch durch Zusatzmaßnahmen erreichbar. Aktuell sind die Speicher zu rund 58 Prozent gefüllt. Somit droht laut Bundesregierung „eine erhebliche Verschlechterung der Gasversorgungslage“ – die Ausrufung der Alarmstufe sei deshalb „erforderlich“. Russland bestreitet weiterhin, dass die Gasdrosselung über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 politisch motiviert sei. Vielmehr seien sanktionsbedingte Verzögerungen bei Reparaturarbeiten Ursache des Problems. Nach russischen Angaben steckt eine Siemens-Turbine für die Pipeline im Ausland fest.
Inwieweit sind die privaten Verbraucher betroffen?
Der Gaspreis ist an den Märkten noch einmal massiv angestiegen. Bei den Verbrauchern kommen die explodierenden Kosten noch längst nicht in vollem Umfang an. Das liegt auch daran, dass Unternehmen bestehende Preisabsprachen noch einhalten müssen. Das könnte sich ändern, wenn der Notfall ausgerufen wird. Denn sonst droht eine Pleitewelle unter den Gasimporteuren und den Versorgern, weil sie teuer einkaufen müssen aber die steigenden Preise nicht weitergeben dürfen. In diesem Fall dürfte die Bundesregierung die Lasten zwischen der Gaswirtschaft und den Verbrauchern verteilen, um einen Kollaps in der Branchen zu verhindern. Experten raten den Verbrauchern, schon jetzt Rücklagen für Nachzahlungen zu bilden, ihre Heizungen auf eine effizienten Stand zu bringen und mit ihren Versorgern zu sprechen, wenn sie die Rechnungen überfordern. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) fordert von der Bundesregierung, übermäßige Preisanhebungen zu verhindern und ein weiteres Entlastungspaket auf den Weg zu bringen.
Kommt es jetzt zu einem Versorgungsengpass?
Nein, erst einmal nicht. Derzeit sind die Gasspeicher mit 58 Prozent stärker gefüllt als im Vorjahr. „Im Moment sehen wir nur, dass in der Planung Erdgas fehlen könnte“, erklärt Tobias Federico, Chef der Energieberatungsfirma Energy Brainpool. Auch eine Sprecherin der Stadtwerke München (SWM) bestätigt: „Aktuell ist die Versorgungssicherheit gegeben.“ Allerdings füllen sich in Bayern die relevanten Erdgasspeicher langsamer als im Bundesdurchschnitt, wie es vom Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft heißt.
Droht Deutschland ein kalter Winter?
Sollten die Gasspeicher nicht ausreichend gefüllt sein, könnte die Versorgung im kommenden Winter schwierig werden. Vorschläge der Netzagentur laufen darauf hinaus, die Mindestwärme in den Wohnungen herabzusetzen oder die Arbeitsschutzverordnung so zu ändern, dass in den Betrieben Heizwärme gespart werden kann. Eine stundenweise Abschaltung der Gasversorgung steht dagegen nicht zur Debatte, auch weil dies technisch nicht praktikabel wäre. Darüber hinaus arbeitet die Bundesregierung weiter an zusätzlichen Gaskäufen und bereitet auch die Reaktivierung von Kohlekraftwerken vor.
Was sagt die Wirtschaft?
Der Bundesverband der Deutschen Industrie äußert ebenso Verständnis und Zustimmung zu dem Schritt wie der Bayerische Industrie- und Handelskammertag. Allerdings fordert IHK-Chef Manfred Gößl deutlich mehr Tempo, um die akute Notlage zu bewältigen. „Wir laufen geradewegs in eine beispiellose Energiekrise mit unabsehbaren Folgen für den Wirtschaftsstandort Bayern“, warnt Gößl. muk, com, hud, dpa