Jetzt bleiben nur Kohle und Kernkraft

von Redaktion

GASTKOMMENTAR Wie es zur Abhängigkeit Deutschlands von russischem Erdgas kam und was nun zu tun ist

VON ROLAND FARNUNG

Bereits im Januar 2021 habe ich in einem Gastbeitrag in dieser Zeitung auf die großen Risiken der Energiewende hingewiesen. Unsere große politische Abhängigkeit von Herrn Putin und Russland bezüglich des für das zukünftige Konzept der Stromerzeugung erforderliche Erdgas machte mir große Sorgen.

Im Wärmemarkt sind wir zu nahezu 50 Prozent auf Erdgaslieferungen aus Russland angewiesen. Das bisherige politische Konzept unserer künftigen Stromerzeugung stellt auf den Einsatz von regenerativer Energie und Erdgas ab. Meine damaligen Befürchtungen sind inzwischen mit dem russischen Einfall in die Ukraine grausame Wirklichkeit geworden. Was ist jetzt zu tun?

Wir müssen hier unterscheiden zwischen der künftigen Wärme- und der künftigen Stromversorgung. Was die Wärmeversorgung angeht, gibt es zu dem Einsatz von Erdgas auf absehbare Zeit keine Alternativen, wenn man auf den Einsatz von Hackschnitzel in der Fernwärmeversorgung oder von Pellets in privaten Erzeugungsanlagen einmal absieht. Wind- oder Solarenergie sind jedenfalls keine Alternativen im Wärmemarkt.

Die große Abhängigkeit von Erdgas in der Wärmeversorgung war nicht immer so. Nach dem Krieg gab es zur Beheizung in den Wohnungen Steinkohle/Braunkohle und später Heizöl, das vor der ersten Energiekrise 1972 billig angeboten wurde. Gas wurde bis dahin nur zum Kochen verwendet und von größeren Kommunen geliefert, die das Gas in lokalen Gaswerken aus Steinkohle herstellten. Für einen Einsatz in der Wärmeerzeugung war dieses Gas nicht geeignet und im Vergleich zu Kohle und Heizöl viel zu teuer.

Das änderte sich erst mit den großen Röhren- und Erdgaslieferverträgen, die 1970 zwischen der Sowjetunion und deutschen Partnern, vornehmlich der damaligen Ruhrgas AG, abgeschlossen wurden. Erste Erdgaslieferungen begannen dann etwa 1972. Der Ruhrgas AG gelang es durch eine geniale Marketingstrategie in den Kommunen sukzessive Kohle- und Heizölheizungen auf das aus der Sowjetunion gelieferte Erdgas umzustellen. Bei Neubauten kam dann fast nur noch Erdgas in Betracht. Für die Industrie und Chemie übernahmen vornehmlich die BASF-Töchter Wintershall und später Wingas diese Vertriebsrolle.

Erst Ende der 1980er-, Anfang 1990er-Jahre machte Ruhrgas größeren Kommunen attraktive langfristige Angebote für Erdgas zur lokalen Stromerzeugung. Viele Kommunen machten von diesen Angeboten Gebrauch und bauten mit relativ niedrigen Investitionskosten Gaskraftwerke zur Versorgung ihrer Kunden. Erst ab diesem Zeitpunkt gab es eine nennenswerte Erdgasverstromung.

Welche Alternativen zu Erdgas gibt es nun in der Wärmeversorgung? Minister Habeck schlägt das Sparen vor. Das ist sicher nicht verkehrt. Aber kurzfristig hilft es nur, die Verstromung von Erdgas strikt einzustellen und das noch gelieferte Erdgas aus Russland für den Winter in die Speicher zu leiten.

Was die Industrie und auch die Chemie angeht, dürfte deren bisheriger Erdgasbedarf zum überwiegenden Teil in ihre eigene Stromerzeugung geflossen sein. Auch darauf muss verzichtet werden. Weitere Alternativen, die allerdings kurzfristig nicht zur Verfügung stehen, sind der Bezug von Flüssiggas, die verstärkte Ausbeutung eigener Erdgasreserven sowie der gesteigerte Bezug aus Norwegen und Holland, soweit das noch möglich ist.

Die als Alternative diskutierte verlängerte Laufzeit der drei noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke und die Wiederinbetriebsetzung der drei Anfang diesen Jahres stillgelegten Kernkraftwerke spielen für das aktuelle Wärmeversorgungsproblem keine Rolle.

Nun zu unserer künftigen Stromversorgung. Das bisherige politische Konzept der Stromerzeugung aus regenerativer Energie und Erdgas zur CO2-Minderung ist grandios gescheitert. Alternativ bleiben nur das Stromsparen und neben den regenerativen Energien der Einsatz moderner Kohlekraftwerke sowie der Einsatz von Kernenergie. Der eventuell befristete Einsatz von Kernenergie muss aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen im politischen Raum neu abgewogen und entschieden werden. Präsident Macron hat dazu vor einiger Zeit gesagt: „Wir respektieren den deutschen Weg, auf Kernenergie zu verzichten, Deutschland soll aber bitte auch respektieren, dass sich Frankreich nach gründlicher Abwägung in dieser Frage anders entschieden hat“.

Was den verstärkten Einsatz unserer noch vorhandenen modernen Steinkohlekraftwerke im Grund- und Mittellastbereich angeht, handelt es sich keineswegs um Dreckschleudern, wie vielfach behauptet wird. Diese Kraftwerke emittieren keinen Staub, keinen Stickstoff und keinen Schwefel. Nur die CO2-Emissionen können sie nicht vermeiden, teilen dieses Problem aber mit den Erdgaskraftwerken. Pro erzeugter kWh emittieren sie 800 g CO2, während Erdgaskraftwerke 650 g CO2 in die Atmosphäre entlassen. Rechnet man beim Erdgas die Methanverluste durch Leckagen bei den langen Transportwegen hinzu, dürfte die Umweltbelastung sogar höher als bei Steinkohlekraftwerken sein. Von der CO2-Belastung durch den Bau neuer Gaskraftwerke will ich gar nicht sprechen.

Zusammenfassend kann man feststellen, das es für die Stromerzeugung als Alternative zu dem nicht mehr zuverlässig verfügbaren Erdgas nur die Verstromung in Steinkohlekraftwerken gibt. Deren Einsatz und damit deren CO2-Emissionen könnten durch einen befristeten Weiterbetrieb der im Betrieb befindlichen drei Kernkraftwerke sowie die Wiederinbetriebnahme der Anfang dieses Jahres stillgelegten drei Kernkraftwerke vermindert werden.

Wie Minister Habeck verkündet, habe die Befüllung der Gasspeicher oberste Priorität, alternative Anbieter würden gesucht und erneuerbare Energien ausgebaut. Außerdem müsse mehr Gas eingespart werden. Das hört sich an wie das Pfeifen im Walde. Konkret hilft für den bevorstehenden Winter nur das sofortige strikte Zurückfahren der Verstromung von Erdgas bei den Energieversorgern wie auch in der Industrie und Chemie. Wenn ich mir täglich die Energiecharts der Stromproduktion in unserem Land anschaue, sehe ich nicht, dass dies tatsächlich geschieht. Für Entscheidungen in der Politik ist es jetzt nicht fünf Minuten vor, sondern fünf Minuten nach 12 Uhr.

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