Es ist erst Juli, doch die deutschen Erdgasspeicher leeren sich bereits. Die große Frage ist: Fließt ab Donnerstag wieder Gas durch Nord Stream 1? Für Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW), ist klar: Die Verbraucher sind jetzt das wichtigste Glied in der Kette.
Gas kostet in Europa gerade über 160 Euro pro Megawattstunde, vor der Krise waren es rund 20 Euro. Bei solchen Preisen müssten sich Tanker mit Flüssiggas (LNG) doch vor Europas Häfen stauen?
Wir bekommen mehr, aber es reicht lange nicht. Über die belgischen LNG-Terminals wurden zwischen Januar und Mai 2021 3,8 Milliarden Kilowattstunden Gas angeliefert – dieses Jahr waren es 88,8 Milliarden. Man muss aber sehen: Diese Mengen bekommen wir nur, weil dafür Mondpreise bezahlt werden, die keine Volkswirtschaft sich auf Dauer leisten kann. Und sie stehen rund 510 Milliarden Kilowattstunden gegenüber, die Russland im ganzen Vorjahreszeitraum geliefert hat und die jetzt auf dem Spiel stehen.
Kommt Bayern über den Winter, falls Russland kein Gas mehr liefert?
Selbst wenn die Speicher zu hundert Prozent gefüllt wären, würden sie nur für zwei Wintermonate reichen. In Bayern wird aber niemand erfrieren müssen, weil er keine einzige warme Stube hat. Wie komfortabel wir ohne russisches Gas über den Winter kommen würden, hängt von vielen Faktoren ab. Wie sparsam gehen wir mit dem Erdgas ab sofort um, wie viel LNG können wir ab, wann beziehen, müssen wir andere EU-Länder mit Erdgas unterstützen. Nicht zuletzt hängt es davon ab, wie hart und lange der nächste Winter wird. Da dürfen wir aber nicht nur auf uns schauen. Wir sind in der EU nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Solidargemeinschaft. Im Falle eines Gasmangels – der im Zweifel alle Länder treffen wird – sind wir verpflichtet, uns gegenseitig zu helfen.
Thema Solidarität: Robert Habeck zweifelt die Abschaltreihenfolge im Falle einer Gasmangellage an. Ist das richtig?
Laut Gesetz werden die kritische Infrastruktur und Privatverbraucher bis zuletzt beliefert. Die Regeln wurden zu einer Zeit beschlossen, als eine flächendeckende Gasknappheit vollkommen unrealistisch erschien. Und wir müssen uns tatsächlich fragen, wo wir kürzen – ich sage bewusst nicht abschalten – wollen. Es hilft niemandem, wenn die Menschen ihre ganze Wohnung auf 25 Grad heizen, aber das Chemiewerk, wo teilweise lebenswichtige Alltagsgüter hergestellt werden, stillsteht. Das gilt vor allem für den zweitwichtigsten gewerblichen Gasverbraucher, die Lebensmittelindustrie. Die Gasmangellage ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auch Privatleute müssen ihren Beitrag leisten. Durch eine vernünftige Verbrauchsreduzierung wollen wir Abschaltungen vermeiden.
Wie kann man Verbraucher zum Sparen animieren?
Technische Möglichkeiten haben wir eigentlich keine. Wir können nur an die Verbraucher appellieren – auch in ihrem eigenen Interesse. Gas wird an den Börsen schon jetzt für das Achtfache des gewohnten Preisniveaus gehandelt – und noch haben wir keinen Mangel. Kommendes Jahr werden die meisten Verbraucher das Dreifache ihrer bisherigen Rechnungen bezahlen. Wer unangenehme Überraschungen vermeiden will, muss jetzt sparen – und hilft damit der ganzen Volkswirtschaft. Denn im Winter wird die Hälfte des Gases für die Wärme in privaten Haushalten gebraucht. Wann die Preiserhöhungen und in welchem Umfang kommen, ist unterschiedlich. Sicher ist, dass es im Herbst losgeht.
Was tut der Staat?
Der finanziert bereits die Gazprom-Germania-Töchter und wird es bei Uniper auch tun, wobei die Eigner-Firma Fortum natürlich auch weiter einspringen sollte. Das kostet Steuerzahler und Gaskunden nämlich schon jetzt einen zweistelligen Milliardenbetrag. Damit greift der Staat ganz vorne in der Wertschöpfungskette an, was gut ist, weil dann Dominoeffekte entlang der Wertschöpfungskette bis hin zu den Kunden vermieden werden. Dennoch werden Differenzbeträge weitergereicht werden müssen. Wie genau, wird noch geklärt. Klar ist: Die Verbraucher sollten unbedingt sparen.
Was ist der größte Hebel?
Die beheizte Fläche verringern. Mit unseren warmen Wohnungen leben wir ja sehr luxuriös. Früher wurde jeweils meist nur ein Raum oder maximal zwei Räume voll beheizt. Das sollten wir wieder tun, weil es viel mehr hilft, als die Gesamttemperatur in allen Räumen ein klein wenig zu senken. Lange danach kommt der Warmwasserverbrauch, also das Duschen. Ab und an darf daher auch weiter gebadet werdet.
Heizlüfter sind vielerorts ausverkauft.
Und das wird ein Problem, denn wenn die gasgestützte Fernwärme ausfällt, werden viele Leute sie auch benutzen. Heizlüfter brauchen etwa zwei Kilowatt Leistung. Sie brauchen also ein ganzes Kernkraftwerk, um 500 000 Heizlüfter zu betreiben.
Der Chef der Bundesnetzagentur betonte aber, wir haben ein Gasproblem, kein Stromproblem.
Das stimmt so nicht. In der Dunkelflaute müssen wir im schlimmsten Fall rund sieben Gigawatt Strom nach Bayern importieren. Einen Teil können vielleicht die Kohlekraftwerke liefern – aber daneben wird es in der Grundlastversorgung eng. Deshalb sollten wir unser letztes Kernkraftwerke in Bayern, Isar II unbedingt noch eine Zeit weiterlaufen lassen. Isar II könnte zehn Prozent zur in Bayern benötigten Leistung beitragen. Denn wenn jetzt noch alle Haushalte ihre Heizlüfter in die Steckdose stecken, wird es bei der Stromversorgung eng. Wer Angst hat, im Winter frieren zu müssen, der sollte sich lieber eine Heizdecke kaufen –die braucht nur 100 Watt.
Können wir auf unsere Nachbarländer hoffen?
Die französischen Atomkraftwerke müssen saniert werden und haben – wie so oft im Sommer – zu wenig Kühlwasser, wir müssen Frankreich also mitversorgen. Blicken wir nach Italien, wird es nicht besser: 50 Prozent Stromerzeugung aus Gas, 14 Prozent aus Laufwasserkraftwerken. Jetzt haben sie Dürre und zu wenig Gas. Wir haben es bei Corona gesehen: Wenn es eng wird, ist sich jeder selbst der Nächste. Alle Energie, die wir in Bayern erzeugen können, ist wichtig, vor allem weil wir kaum Kohlekraftwerke haben. Offenbar ist das aber immer noch nicht bei jedem angekommen. Wer noch behauptet, wir müssten nicht alles ans Netz nehmen, was wir haben, mit dem rede ich nach dem nächsten Winter gerne auch persönlich.
Interview: Matthias Schneider