EZB erhöht Zinsen und stützt Schuldenländer

von Redaktion

VON ROLF OBERTREIS

Frankfurt – Es ist ein historischer Schritt und er fällt größer aus als erwartet. Zum ersten Mal seit elf Jahren erhöht die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen und beendet die Ära von Null- und Negativzinsen. Kredite dürften zwar teurer werden, dafür streichen Banken und Sparkassen die Verwahrentgelte und Sparern winken wieder Zinsen. Der Rat der Notenbank hob gestern die Leitzinsen um jeweils 0,5 Prozentpunkte an – doppelt so stark wie im Juni angekündigt.

Leitzins steigt auf 0,5 Prozent

Der wichtigste Leitzins, zu dem sich Banken bei der Notenbank Geld leihen, steigt von null auf 0,5 Prozent, der Zins für Einlagen von minus 0,5 auf null Prozent. Präsidentin Christine Lagarde begründete den überraschend deutlichen Schritt – sie hatte im Juni einer Erhöhung um lediglich 0,25 Punkte vorausgesagt – mit den hohen und möglicherweise weiter steigenden Preisen.

Zinsen sollen weiter steigen

Für die nächsten Sitzungen des EZB-Rates kündigte Lagarde eine weitere Normalisierung der Geldpolitik und weitere Zinserhöhungen an. Details nannte sie nicht. „Wir gehen Schritt für Schritt vor auf Basis der jeweiligen Datenlage.“ Auch Angaben für ein Endziel der Erhöhungsschritte und damit für einen in ihren Augen angemessenen neutralen Leitzins, der für Preisstabilität sorgt und zugleich die Konjunkturentwicklung – etwa über hohe Kreditzinsen – nicht belastet, machte sie nicht.

Inflation bleibt noch „einige Zeit“ hoch

Im Mai hatte die Inflation in der Eurozone 8,1 Prozent erreicht, im Juni war sie weiter auf 8,6 Prozent geklettert. „Die Inflation wird noch für einige Zeit unerwünscht hoch bleiben“, sagte Lagarde. Unter anderem wegen dauerhaft hoher Energie- und Nahrungsmittelpreise, wegen erhöhter Inflationserwartungen und möglicher höher als erwartet steigender Löhne. Umgekehrt könnte eine geringe Nachfrage den Inflationsdruck mildern. Die EZB sieht die Preisstabilität bei zwei Prozent erreicht.

Starker Dollar hat EZB unter Druck gesetzt

Als Begründung für den großen Zinsschritt führt Lagarde auch den schwachen Euro an, der zuletzt zum Dollar unter die Parität gerutscht war und weniger als ein Dollar kostete. Gestern kletterte er wieder zeitweise auf 1,02 Dollar. Eine Stabilisierung der Energiepreise und eine Erleichterung bei den Problemen in den Lieferketten sollten aber die Annäherung der Inflation an das EZB-Ziel unterstützen, fügte Lagarde hinzu.

Einstimmiger Beschluss im EZB-Rat

Die Entscheidung im 25-köpfigen Rat der Notenbank sei einstimmig gefallen auf der Basis einer aktualisierten Einschätzung der Inflationsentwicklung, sagte Lagarde nach der Sitzung. „Auch für mich ist das ein historischer Moment.“ Zum einen, weil im Rat alle zur gleichen Einschätzung gekommen seien, auch die Bundesbank. „Zum anderen ist es das erste Mal in mehr als einer Dekade, dass wir die Zinsen erhöhen.“

Der wichtigste Leitzins hatte seit Mai 2016 bei null gestanden, den Zins für Einlagen der Kreditinstitute hatte die EZB schon zwei Jahre zuvor ins Negative gedrückt. Zuletzt waren es minus 0,5 Prozent. Dies hatte zur Folge, dass Banken und Sparkassen diese Belastung an ihre Kundinnen und Kunden in gleicher Höhe oder sogar noch stärker als Verwahrentgelt weiterreichten. Dies dürfte jetzt beendet sein. Einige Institute kündigten am Donnerstag an, für Sparbriefe wieder Zinsen von einem Prozent und mehr zu zahlen.

Lagarde erwartet keine Rezession

Lagarde betonte wie selten zuvor, dass Hauptaufgabe der EZB die Wahrung der Preisstabilität sei. Einen Wirtschaftseinbruch in der Eurozone erwartet die Präsidentin nicht. „Wir erwarten keine Rezession, nicht in diesem und nicht im nächsten Jahr.“ Sie verweist als Indiz dafür unter anderem auf den starken Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenrate in der Eurozone sei mit 6,6 Prozent im Mai auf historischem Tiefstand gewesen. Und es gebe weiter eine robuste Nachfrage nach Arbeitskräften. „Aber der Krieg in der Ukraine bleibt ein signifikantes Risiko für die Wirtschaftsentwicklung.“ Insbesondere wenn Energielieferungen aus Russland ausblieben.

Stütze für Länder mit hohen Schulden

Am Donnerstag verständigte sich der Rat auch auf ein neues Krisen-Instrument. Mit TPI (Transmission Protection Instrument) will die EZB hochverschuldete Staaten unterstützen, falls die Renditen der jeweiligen Staatsanleihen durch Spekulation unverhältnismäßig stark steigen. Dadurch würden sich die Refinanzierungskosten der ohnehin schon hoch verschuldeten Länder weiter erhöhen, sie müssten für neue Anleihen höhere Zinsen bieten. Zuletzt war die Debatte vor allem mit Blick auf Italien aufgeflammt, weil dort die Renditen stark gestiegen waren. TPI soll gezielte Käufe der Staatsanleihen der betroffenen Länder ermöglichen und so die Renditen drücken. Man werde das im Einzelfall sehr genau prüfen, sagt Lagarde. „Am liebsten würden wir TPI nicht nutzen. Aber wenn wir es nutzen müssen, werden nicht zögern es einzusetzen.“

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