München – Benedikt Pointner steht an seinem Stand auf der Forstwirtschaftsmesse Interforst. Vor ihm liegt ein Smartphone, das eine Satellitenkarte zeigt. Er wischt mit dem Finger über den Bildschirm und Dörfer, Felder und Straßen fliegen vorbei. Zwischen Kollersdorf bei Moosburg und Attenkirchen tauchen dunkelgrüne Flächen auf: die Wälder unterhalb der Hallertau. Pointner zieht das Bild größer, bis einzelne Wipfel zu erkennen sind, dann schaltet er die Vitalitätserkennung seiner App ein. Plötzlich legen sich Pixel in verschiedenen Rottönen auf viele der Bäume. „Schauen Sie, hier ist alles angegriffen“, sagt der Oberbayer. „Im Juni ist hier ein Sturm durchgezogen, man kann den Hagelstreifen immer noch erkennen. Und nun setzt auch noch die Hitze dem Wald zu.“
Benedikt Pointner ist einer der Köpfe hinter der neuen „WoodsApp“. Mit ihr können Waldbesitzer prüfen, wie es ihren Bäumen geht. „Wir sehen genau, ob ein Wald leidet“, sagt der IT-Experte, der aus dem Erdinger Holzland stammt. Sichtbar wird das durch Satellitendaten der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA, die alle fünf Tage neu in die App geladen werden. Auf ihrer Basis erkennt die Software Verfärbungen der Blätter und Nadeln, die ein klares Zeichen dafür sind, dass die Chlorophyllproduktion eines Baumes gestört ist, er also Stress hat. „Die Farberkennung passiert im ultravioletten Bereich“, erklärt Pointner. „Die App erkennt Schäden damit viel früher, als es das menschliche Auge tut.“ Dass der 55-Jährige seit knapp zwei Jahren ein Startup für die Forstbranche aufbaut, ist seinerseits logisch. Pointner hat Forstwissenschaft studiert und arbeitete danach viele Jahre für eine amerikanische Softwarefirma, die auf geografische Informationssysteme spezialisiert ist. Den Rest erledigte wie so oft der Zufall. Über einen Freund lernte er Jarmo Oittinen kennen. Der hatte für die riesige Forstindustrie in Finnland schon satellitengestützte Systeme aufgebaut und war auf der Suche nach einem Partner, der mit ihm eine App für private Waldbesitzer an den Start bringt. Pointner war der richtige Mann, heute sind die beiden „digitale Zwillinge“, wie es Oittinen ausdrückt.
Als Startort für ihre App hat sich das deutsch-finnische Duo, das über ein Programmierer-Team in Polen verfügt, Deutschland ausgesucht. „Es gibt allein in Bayern über 900 000 Forstbesitzer“, rechnet Pointner vor, „in ganz Deutschland sind es etwa zwei Millionen.“ Die hohe Zahl verwundert, ist aber erklärbar: Die meisten Waldflächen werden vererbt, aufgeteilt und damit immer kleiner parzelliert. Das ist auch in Frankreich, Italien oder der Schweiz der Fall und hat zur Folge, dass die neuen Waldbesitzer immer seltener praktische Erfahrungen mit der Forstwirtschaft mitbringen. „Viele leben heute in der Stadt und haben gar keine Ahnung mehr, wie man einen Wald richtig bewirtschaftet“, sagt Pointner. Ein nicht zu unterschätzendes Problem, denn schon der Klimawandel macht Eingriffe nötig. Beispiel Borkenkäfer: Er fühlt sich im Warmen wohl und vermehrt sich deshalb in heißen und trockenen Jahren gut. Befallene Bäume müssen deshalb sofort gefällt und entfernt werden, um den Schädling möglichst effektiv einzudämmen.
Die „WoodsApp“ richtet sich also vor allem an unerfahrene Waldbesitzer. Ihr Name erinnert nicht zufällig an einen bekannten Nachrichtendienst für das Smartphone. Denn die App kann viel mehr als nur den Zustand des Waldes bewerten. Sie will Waldbesitzer mit professionellen Forstorganisationen zusammenbringen, die vor Ort die Arbeit erledigen. Auf der Karte in der App kann man zum Beispiel Problemstellen auf einzelne Baumgruppen eingrenzen und mit einer Positionsmarke kennzeichnen. Ein Team an Waldarbeitern kann sich dann von der App exakt zu der Stelle navigieren lassen und sich vor Ort genau ansehen, ob die betreffenden Bäume unter Hitze, Sturmschäden oder Schädlingen leiden. Auch eine Chatfunktion gibt es, über die man untereinander schnell klären kann, was jetzt zu tun ist. Und in einem Nachrichtenkanal laufen regelmäßig etwa amtliche Warnungen vor Hitze, Waldbrand oder Käferbefall ein.
Geht es nach Pointner, wird in Zukunft aber noch viel mehr möglich sein. „Die Satellitendaten machen viele weitere Anwendungen denkbar, etwa ein Inventursystem für den Forst“, sagt er. Denn auf den Karten lässt sich genau erkennen, welche Baumsorten im Wald stehen und wie hoch die Bäume bereits sind. Man bräuchte viel weniger Ortstermine und müsste Bäume, die gefällt werden, nicht mehr mit Sprühdosen markieren. Das alles spart Arbeitszeit und Geld. „Diese Digitalisierung wäre eine echte Revolution in der Forstwirtschaft“, sagt Pointner, der darauf hofft, dass die App weltweit ein Erfolg wird.
Noch ist das aber Zukunftsmusik. Obwohl am Messestand schon am zweiten Tag alle Flyer vergriffen sind, steht das Unternehmen erst am Anfang und kämpft mitunter mit praktischen Problemen, etwa bei der Flächensuche. In die App kann man seine Katasternummern eingeben und findet dort so mit einem Klick seine amtlichen Waldflächen. Eigentlich eine tolle Sache, die für Flurstücke in Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen, Brandenburg oder Hessen bestens funktioniert. Bayern und Baden-Württemberg weigern sich bislang jedoch hartnäckig, Katasterdaten kostenlos herauszurücken. Pointner hat schon Briefe und Mails an Abgeordnete, EU-Parlamentarier, das Staatsministerium für Digitales und die Staatskanzlei geschrieben. „Doch der Finanzminister hat immer ein Veto eingelegt, weil er auf die Einnahmen nicht verzichten will – obwohl sie für den Freistaat nur Peanuts sind“, schimpft er.
Wie es mit den Katasterdaten weitergeht? Das weiß auch Pointner nicht genau. Und wenn man global denkt, ist es wohl auch gar nicht so entscheidend, ob jetzt in Bayern Katasterdaten kostenlos verfügbar sind oder nicht. Zumal die App ja trotzdem im Freistaat nutzbar ist, wenn auch nicht ganz so komfortabel wie etwa in Brandenburg und auch mit leicht eingeschränktem Umfang. Ein bisschen geh es dem Erdinger aber schon an die Ehre, dass ausgerechnet in der Heimat eine Funktion fehlt, weshalb er momentan an einer Behelfslösung mittels Kartenpunkten arbeitet. Briefe und Mails schreiben wird er deshalb so schnell aber trotzdem nicht aufhören.