Karlsruhe – Die Corona-Pandemie hat Deutschland und den anderen EU-Staaten wirtschaftlich einiges abverlangt. Ein Milliarden-Programm der EU soll ihnen helfen, wieder schnell auf die Beine zu kommen. Kritiker meinen aber, der Bundestag hätte einer deutschen Beteiligung niemals zustimmen dürfen. Seit gestern verhandelt das Bundesverfassungsgericht (Az. 2 BvR 547/21 u.a.).
Worum geht es?
Im Dezember 2020 hatten die Staats- und Regierungschefs die EU-Kommission ermächtigt, an den Kapitalmärkten bis zu 750 Milliarden Euro aufzunehmen. Da sich diese Summe an den Preisen von 2018 orientiert, sind es inzwischen knapp 807 Milliarden Euro. Die Staaten waren sich einig, dass die Folgen der Krise nur mit einer derart „außerordentlichen Reaktion“ bewältigt werden könnten.
Wie soll das im Einzelnen funktionieren?
Knapp die Hälfte des Geldes wird als Darlehen vergeben, eine etwas kleinere Summe fließt in Zuschüsse. Der Rest wird über Programme im EU-Haushalt ausgereicht. Die Schulden sollen über Jahrzehnte aus dem Unionshaushalt zurückgezahlt werden – bis spätestens Ende 2058. Die Förderung kommt vor allem Projekten zugute, die eine umweltfreundlichere und digitalere Wirtschaft voranbringen. Jeder Staat musste dafür einen Plan mit konkreten Vorhaben vorlegen.
Warum gibt es Kritik?
Es ist das erste Mal, dass die EU-Kommission derart große Summen als gemeinsame Schulden aufnimmt – und die EU-Staaten dafür gemeinschaftlich haften. Der Bundesrechnungshof warnte 2021, Deutschland sei mit voraussichtlich 65 Milliarden Euro der größte Nettozahler. Sollten Staaten ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen, müssten die anderen über ihren Anteil am EU-Haushalt dafür einstehen.
Welche finanziellen Risiken geht Deutschland ein?
Hier gehen die Annahmen stark auseinander: Die Karlsruher Kläger warnen, über die gesamte Laufzeit bis 2058 ergebe sich ein Haftungsanteil von 850 bis zu 1000 Milliarden Euro. Der Bundestag nennt das in seiner Stellungnahme für das Gericht völlig haltlos – die maximale zusätzliche Belastung liege bei jährlich 21,75 Milliarden Euro. Die Bundesregierung sieht das genauso.
Worüber wird genau verhandelt?
Die Klagen richten sich gegen das Gesetz, mit dem der Bundestag einer deutschen Beteiligung zugestimmt hat. Aus fünf anhängigen Verfassungsbeschwerden hat der Zweite Senat zwei zur Verhandlung ausgewählt. Eine davon kommt von einem Bündnis um den einstigen AfD-Gründer Bernd Lucke und wird von knapp 2300 Menschen unterstützt. Die zweite hat der Unternehmer Heinrich Weiss eingereicht. Wegen des Wiederaufbaufonds hatten auch mehrere CDU-Abgeordnete in Karlsruhe geklagt. Außerdem gibt es eine Organklage der AfD-Bundestagsfraktion.
Wie ist die Position der Bundesregierung?
Aus deren Sicht steht das Programm auf einer soliden Grundlage. „Das ist rechtlich in Ordnung, das bewegt sich im Rahmen der europäischen Verträge, auch im Rahmen der nationalen Gesetzgebung“, sagte Finanzstaats- sekretär Werner Gatzer gestern. Mehr als zwei Drittel der Bundestags-Abgeordneten hätten zugestimmt, der Bundesrat habe einstimmig grünes Licht gegeben.
Wie geht es jetzt weiter?
Für heute haben die Richter einen zweiten Verhandlungstag angesetzt. Das Urteil ist frühestens in einigen Monaten zu erwarten.