Der russische Gasriese Gazprom liefert wie angekündigt seit Mittwoch weniger Gas durch die Pipeline Nord Stream 1. „Die Lage ist angespannt und eine weitere Verschlechterung der Situation kann nicht ausgeschlossen werden“, hieß es gestern im täglichen Lagebericht der Behörde. Die Gasversorgung in Deutschland sei im Moment stabil. Nach der angekündigten Reduzierung der Liefermenge lägen die Gasflüsse aus Nord Stream 1 bei 19,5 Prozent der Maximalleistung (siehe Grafik). Von der Reduktion sei die Weitergabe von Gas in andere europäische Länder wie Frankreich, Österreich und Tschechien betroffen.
Noch wird Gas eingespeichert
Bislang werde noch Gas eingespeichert, teilte die Netzagentur mit. Am Montag waren die deutschen Speicher zu 66,8 Prozent gefüllt. „Sollten die russischen Gaslieferungen über Nord Stream 1 weiterhin auf diesem niedrigen Niveau verharren, ist ein Speicherstand von 95 Prozent bis November kaum ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar“, betonte die Behörde. Die Bundesregierung will in einer Verordnung festschreiben, dass die deutschen Speicher am 1. November zu 95 Prozent gefüllt sein müssen.
Gazprom könnte über die Slowakei liefern
Der russische Energiekonzern Gazprom hat nach Angaben des Pipelinebetreibers Eustream gestern aber deutlich mehr Kapazität bei der Transgas-Leitung durch die Slowakei gebucht als in den vergangenen Tagen. Im slowakischen Grenzort Vel’ké Kapusany, dem Startpunkt des slowakischen Abschnitts, wurde die Durchleitung von 68,6 Millionen Kubikmeter Gas angemeldet. Am Vortag waren es 36,8 Millionen Kubikmeter. Die Buchung deutet darauf hin, dass Gazprom die bei Nord Stream 1 ausfallenden Gaslieferungen nach Europa über die Route durch die Slowakei ausgleicht. Transgas ist eine Leitung, die von Russland über die Ukraine nach Österreich und Deutschland führt.
Großhandelspreis deutlich über 200 Euro
Die ungewisse Versorgungslage treibt den europäischen Erdgaspreis indes weiter an. Am Mittwochvormittag stieg der Preis für eine Megawattstunde niederländisches Erdgas zur Lieferung im August im Vergleich zum Vortag um etwa zehn Prozent bis auf 224 Euro. Der Preis bezieht sich auf den Terminkontrakt TTF, der in Europa als Richtschnur für das Gaspreisniveau gilt.
Frankreich bietet Unterstützung an
Wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf französischen Regierungskreise berichtete, werden in Paris derzeit mehrere Optionen geprüft, um die Folgen der reduzierten Lieferungen über Nord Stream 1 für Deutschland abzumildern. Denkbar ist demnach, dass Frankreich seine Terminals für Lieferungen von Flüssiggas (LNG) an die Bundesrepublik zur Verfügung stellt. Allerdings gibt es dem Bericht zufolge technische Probleme zu lösen: In Frankreich werden dem Gas bereits in den Fernleitungen Geruchsstoffe zugesetzt, damit man riechen kann, falls es ein Leck gibt. In Deutschland passiert diese Sicherheitsmaßnahme erst im Verteilnetz. In deutschen Fernleitungen ist mit Geruchsstoffen versetztes Gas dagegen nicht zugelassen.
Habeck: Weiterbetrieb von AKW möglich
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schließt einen Weiterbetrieb der verbliebenen deutschen Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus indes nicht mehr aus. Beim Stresstest könne sich ein „Sonderszenario“ ergeben, sagte Habeck am Dienstagabend in der Sendung „RTL Aktuell“. „Die Frage, die relevant gestellt werden muss, ist, ob die Stromnetzstabilität in diesem Jahr durch weitere Maßnahmen gesichert werden muss.“ Um ausreichende Rückspannung im Netz zu sichern, sei eine gewisse Kraftwerkskapazität nötig. „Und jetzt schauen wir uns an, ob dieses Jahr so extrem ist, dass dafür noch mal neu ein Szenario aufgemacht werden soll.“
TÜV: Ältere Meiler in „exzellentem Zustand“
Der TÜV-Verband hält eine Wiederinbetriebnahme der im vergangenen Jahr stillgelegten drei Atomkraftwerke sicherheitstechnisch für machbar. „Diese Anlagen zählen zu den sichersten und technisch besten Kraftwerken, die es weltweit gibt“, sagte Joachim Bühler, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des TÜV-Verbands, der „Bild“-Zeitung. Sie seien „in einem exzellenten Zustand.“ Eine Sprecherin des TÜV Verbandes wies aber darauf hin, dass das Gespräch mit der „Bild“ im März stattgefunden habe, als der Rückbau der Atomkraftwerke noch nicht begonnen habe. Die Atomkraftwerke Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C waren Ende 2021 vom Netz gegangen. Seitdem laufen noch Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland. Ihre Betriebserlaubnis endet am 31. Dezember. sh/dpa