München – Die deutsche Wirtschaft leidet so stark unter Fachkräftemangel wie noch nie. Laut einer Erhebung des ifo-Instituts sind 49,7 Prozent der deutschen Unternehmen durch fehlende Arbeitskräfte beeinträchtigt. Der bisherige Negativrekord stammt aus dem April 2022 und lag bei 43,6 Prozent. In Bayern ist die Lage sogar noch etwas dramatischer. Hier berichten 52,5 Prozent der befragten Betriebe über Fachkräftemangel.
„Immer mehr Unternehmen müssen ihre Geschäfte einschränken, weil sie einfach nicht genug Personal finden“, erklärt Arbeitsmarktexperte Stefan Sauer vom ifo-Institut. Der Mangel ziehe sich durch die komplette Wirtschaft. So berichten 43 Prozent der Baufirmen in Bayern über fehlendes Personal, im Handel sind es 38 Prozent, in Bayerns Industrie 52 Prozent und bei den Dienstleistern im Freistaat sogar 55 Prozent.
Aus Branchensicht ist die Lage zum Beispiel im Gastgewerbe besonders angespannt. In der Hotellerie kämpfen mitten in der Ferienzeit fast zwei Drittel der Betriebe mit einer zu dünnen Personaldecke, bei den Gaststätten sind es etwas mehr als die Hälfte. Bayernweit müssen viele Hotels und Gaststätten Übernachtungen, Hochzeiten, Feiern und Veranstaltungen ablehnen und absagen. „Das gilt auch für die großen und personalintensiven Münchner Hotels, die nun Anfragen nicht annehmen können“, erklärt Frank-Ulrich John, Sprecher des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes. Für die Betriebe sei das extrem bitter, so John. „Viele von ihnen wären eigentlich ausgebucht und bräuchten die Einnahmen nach zwei existenzbedrohenden Pandemiejahren dringend.“
Ebenfalls stark betroffen: Die Metall- und Elektroindustrie, einer der wichtigsten Arbeitgeber in Bayern. Laut ifo-Institut sind hier deutschlandweit 57 Prozent der Unternehmen unterbesetzt. Das schlägt sich auch auf ihre Geschäfte nieder. So hat die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) ermittelt, dass die Produktion in vier von zehn Betrieben der beiden Branchen bereits erheblich beeinträchtigt ist. „Der Fachkräftemangel ist für die Metall- und Elektroindustrie in Bayern ein zentrales Problem, jetzt und noch mehr in Zukunft“, sagt Bertram Brossardt von der vbw. Und auch in der Nahrungsmittelbranche sei die Lage „schrecklich“, wie Andreas Gaßner von der Metzgerinnung München bestätigt. „Der Fachkräftemangel ist bei uns allgegenwärtig“, so Gaßner, dabei sei die Nahrungsmittelproduktion „systemrelevant“. Viele Metzger müssten aber wegen Personalmangel Öffnungszeiten einschränken und ihre Waren zunehmend über Fleischautomaten verkaufen.
In der Wirtschaft macht man sich wenig Hoffnung auf Besserung. Der Fachkräftemangel sei „strukturell und demografisch bedingt und wird die Unternehmen im Freistaat noch vor gewaltige Herausforderungen stellen“, so vbw-Chef Brossardt. Wegen des Renteneintritts der geburtenstarken Jahrgänge würden Bayerns Arbeitsmarkt bis 2030 rund 640 000 Fachkräfte fehlen, rechnet die Industrie- und Handelskammer München und Oberbayern vor. Um diese Lücke annähernd zu füllen, fordert sie bessere Weiterbildungsmöglichkeiten sowie mehr Kinderbetreuung, um mehr Frauen in Vollzeitjobs zu bringen. Besonders wichtig sei aber die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte.