Hohes China-Risiko für Münchner Konzerne

von Redaktion

VON ANDREAS HÖSS

München – Für viele deutsche Manager galt China einst als das gelobte Land: Ein Riesenreich mit mehr als einer Milliarde potenzieller Kunden, die stetig an Wohlstand gewinnen: Das Geschäft wollte sich keiner entgehen lassen. Die China-Träume haben sich auch erfüllt, deutsche Konzerne machen mittlerweile einen großen Teil ihrer Geschäfte in der Volksrepublik. Läuft es schlecht, könnte der Traum aber schnell zum Albtraum werden.

China entwickelt sich zum Risikofaktor. Viele Unternehmen sind längst wirtschaftlich abhängig von dem gigantischen Land – doch Peking folgt seinen eigenen Plänen. Mit seinen Corona-Lockdowns, die wichtige Werke und Häfen stilllegen, bringt es die Weltwirtschaft aus dem Takt. Und mit seinen Drohgebärden gegenüber Taiwan schürt es Ängste vor einem Überfall, wie ihn Russland auf die Ukraine verübt hat. Das lässt auch die Industrie nicht mehr kalt, die lange nur Chinas gute Seiten gelobt hatte.

Der Ukraine-Krieg „hat uns gelehrt, dass wir gegenüber autokratischen Staaten besser auf Extremszenarien vorbereitet sein müssen“, sagt Siegfried Russwurm, Chef des Industrie-Verbandes BDI. Man müsse sich darauf einstellen, dass China „sich in einem fundamentalen Systemkonflikt mit dem Westen sieht und seine wirtschaftliche Macht politisch ausspielt.“

Wie groß Chinas Einfluss ist, zeigt nicht nur ein Blick auf die Lieferketten deutscher Firmen, in denen immer und immer wieder sehr viele chinesische Vorprodukte und Rohstoffe auftauchen. Auch eine Auswertung der Deutschen Bank veranschaulicht, welche Macht China über die deutsche Wirtschaft hat. Demnach machten die Konzerne im deutschen Aktienindex Dax im Jahr 2021 elf Prozent ihres Umsatzes und 15 Prozent ihres Gewinns in China. Das möge wenig klingen, sei im internationalen Vergleich aber sehr viel, sagt Kapitalmarktstratege Maximilian Uleer von Deutsche Bank Research. „Fast die Hälfte der europäischen Exporte nach China kommt aus Deutschland“, erklärt Uleer. Das schaffe große Chancen, berge aber auch enorme Risiken.

Doch wo gibt es die größten Klumpenrisiken? Besonders wichtig ist das China-Geschäft für den Sportartikelhersteller Adidas. Laut Deutsche Bank Research machte er 2021 atemberaubende 60 Prozent seiner Gewinne in China (siehe Grafik). Zum Vergleich: Bei Konkurrent Puma, der ebenfalls sehr abhängig von chinesischen Kunden ist, war es ein Viertel. Selbst in Europa ist die Quote einzigartig. Bei Frankreichs Luxuskonzernen Hermes und LVMH, die abgesehen von deutschen Unternehmen in Europa den höchsten China-Anteil haben, sind es 32 und 31 Prozent. Was weiter auffällt: Auch drei Münchner Konzerne sind unter den zehn Firmen mit der höchsten China-Abhängigkeit im Dax vertreten, nämlich Infineon, BMW und MTU. Der Chiphersteller Infineon erzielte 38 Prozent seines Gewinns in China, der Autobauer BMW 32 Prozent und der Triebwerkhersteller MTU immer noch überdurchschnittliche 17 Prozent.

Während BMW in China ein Drittel seiner Autos verkauft, dort auch produziert und auf Teile und Rohstoffe aus dem Land angewiesen ist, sind die Beziehungen der beiden anderen Münchner Firmen mit dem Reich der Mitte pikanter. Infineon hat nicht nur Produktionsstätten und Abnehmer in China, sondern lässt auch viele Chips als Auftragsfertigung beim Halbleitergiganten TSMC in Taiwan fertigen, wäre also von einer Eskalation des Taiwan-Konfliktes besonders betroffen. Und MTU liefert und wartet vor allem Antriebe für die zivile Luftfahrt in Asien, rüstet nebenher aber auch noch Chinas Militär mit aus.

Doch wie sind die China-Geschäfte abseits der umstrittenen Militärdeals einzuschätzen? Der China-Fokus habe der deutschen Wirtschaft zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 geholfen, Ausfälle in den USA und Europa zu kompensieren, sagt Maximilian Uleer von Deutsche Bank Research. Kühle sich Chinas Wirtschaft jetzt weiter ab, würden deutsche Konzerne das andererseits überproportional zu spüren bekommen. Und auch eine Verschärfung der Lage in Taiwan samt Störung der Halbleiterproduktion wäre für die deutschen Firmen „mit Sicherheit schädlich“.

Ähnlich sieht es das Münchner ifo-Institut. Die Wirtschaftsforscher haben gerade errechnet, dass bereits ein Handelskrieg zwischen China und dem Westen in Deutschland zu fünfmal so hohen Wachstumseinbußen führen würde wie der Brexit. Die wirtschaftlichen Kosten für China selbst wären zwar noch höher, doch auch für sehr viele Unternehmen in Deutschland wäre das ein jähes Erwachen aus dem China-Traum.

Artikel 3 von 9