München/Forstinning – Jonas Lerchenmüller vom Start-up Kewazo steht auf einem Friedhof in Forstinning bei München. Die barocke Pfarrkirche vor ihm mit ihrem 30 Meter hohen Turm ist komplett eingerüstet. Neben ihm steht ein Gerüstbauer, der eine Fernbedienung in der Hand hält. Er drückt einen Knopf und eine Transportplattform mit Gerüstteilen fährt automatisch nach oben und dreht sich zum Arbeiter auf der obersten Lage. Der entlädt die Teile und schickt den Roboter-Aufzug wieder nach unten. „Normalerweise reichen die Gerüstbauer die Teile oft noch von einer Lage zur nächsten oder ziehen sie mit einer Seilwinde hoch“, erklärt Jonas Lerchenmüller. Dafür braucht man mehrere Arbeiter und es ist extrem anstrengend. „Mit unserem Liftbot kann man dagegen zu zweit oder zu dritt arbeiten. Und Kraft spart man auch.“
Ein Bauroboter, der Gerüstteile nach oben hebt? Das klingt wenig spektakulär. Doch Kewazo hat für seine Technik schon viele Preise gewonnen, unter anderem vom Hauptverband der deutschen Bauindustrie. Was sich banal anhört, ist nämlich eine enorme Erleichterung. Bauaufzüge gibt es zwar bereits, doch um sie aufzustellen, braucht man einen Stapler, Strom und mehrere Arbeitskräfte. „Auf vielen Baustellen fehlt dafür der Platz oder der Aufwand lohnt sich nicht“, erklärt Lerchenmüller. Deshalb werden vier von fünf Gerüsten nach wie vor manuell errichtet. Das dauert aber und ist teuer und gefährlich.
Jeder Gerüstbauer trägt laut Lerchenmüller bis zu fünf Tonnen an Gerüstteilen pro Tag, etwa 80 Prozent der Projektzeit im Gerüstbau entfällt auf den Materialtransport. Weit über die Hälfte der Kosten sind zudem Arbeitskosten. Arbeiter sind aber immer schwerer zu bekommen, weshalb viele Gerüstbauer Aufträge bereits schieben oder ganz absagen müssen. Und weil selbst bei den stärksten Gerüstbauern im Laufe des Tages die Kräfte schwinden, passieren allein in Deutschland pro Jahr etwa 6000 Unfälle im Gerüstbau.
„Wir bieten hier eine Lösung“, sagt Lerchenmüller. Der kleine Roboter, der die Transportplattform bewegt, ersetze mehrere Fachkräfte, die sonst die Gerüstteile von Lage zu Lage heben. Das spart laut Kewazo 25 bis 44 Prozent der Personalkosten. Und weil man die Teile oben nur noch aus der Plattform nehmen muss, erhöht sich die Sicherheit signifikant. Anders als ein großer Bauaufzug ist der Liftbot zudem selbst auf engstem Raum einfach zu installieren. Für den Aufbau der Schienen braucht man kein spezielles Werkzeug, der Antriebsroboter ist klein, leicht und ein Arbeiter kann ihn alleine schieben. Und er hat eine Batterie, benötigt also keinen Stromanschluss. „In 20 Minuten steht das System und man kann anfangen“, sagt Lerchenmüller. „Während der Arbeit bekommt man alle Daten auf das Handy und kann zum Beispiel auswerten, wie viel Gewicht man in welcher Zeit nach oben bringt.“
In einer Branche, in der es um Zeit, Geld und Arbeitskräfte geht, ist das eine Ansage. Kein Wunder, dass viele große Unternehmen den kleinen Roboter testen. Der erste Auftrag kam von der Meyer Werft, die Kreuzfahrtschiffe wie die riesige Aida baut. Der Industriedienstleister Bilfiger Arnholdt setzt den Liftbot nun dauerhaft ein und auch die Kuppel im Reichstag wurde von Kewazo schon eingerüstet. Ein großer Auftraggeber ist auch die Ölindustrie. „Hier müssen für Wartungsarbeit regelmäßig Tanks oder Kolonnen eingerüstet werden. Da geht es um jede Minute“, weiß Lerchenmüller.
Etwa zehn Liftbots sind in ganz Europa derzeit im Einsatz. Für ein junges Unternehmen, das erst vor vier Jahren gegründet wurde, ist das nicht schlecht. Das internationale Team um Geschäftsführer Artem Kuchukov hatte sich an der Technischen Universität (TU) München kennengelernt und dort bei einem Ideenwettbewerb den Einfall für den smarten Aufzug gehabt. Die TU förderte die Truppe und der Münchner Risikokapital-Fonds MIG, der früh in den Impfstoffhersteller Biontech investiert hat, sowie US-Investoren beteiligten sich an dem Start-up. „Das sind starke Partner“, sagt der Münchner Lerchenmüller, der nach einem Treffen mit Kuchukov bei seinem Studium in San Francisco zu Kewazo gestoßen ist.
In den nächsten Jahren will Kewazo viele neue Liftbots ausliefern und mittelfristig nicht mehr nur mit Gerüstbauern zusammenarbeiten. „Unser Ziel ist, dass die Gerüstbauer das System zu Baubeginn installieren und es dann auch andere Handwerker mit eigens für sie gebauten Plattformen nutzen“, sagt Lerchenmüller. Einen wichtigen Schritt Richtung Wachstum hat Kewazo schon getan: Gerade ist ein Liftbot unterwegs in die USA – ein sehr großer Markt mit viel Technikbegeisterung. Und wer weiß: Vielleicht stehen die Münchner Roboter-Aufzüge ja bald nicht mehr nur an der Pfarrkirche in Forstinning, sondern auch an der Freiheitsstatue in New York.