„Ein Viertel der Bauwilligen gibt auf“

von Redaktion

INTERVIEW: Handwerkskammer-Präsident über explodierende Preise und lange Wartezeiten

München – Wohnungsbau, Energie-Sanierung, Heizungstausch: Das Handwerk arbeitet an den drängenden Themen unserer Zeit. Gleichzeitig werden die Betriebe von horrenden Energiepreisen und Materialknappheit belastet. Im Interview spricht Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern, über den Zustand der Branche – und was jetzt getan werden muss.

Herr Peteranderl, die Gas-Umlage erregt die Gemüter. Wie steht das Handwerk dazu?

Es macht aus meiner Sicht überhaupt keinen Sinn, eine Umlage zu erlassen und die steigenden Kosten dann durch die Mehrwertsteuersenkung dämpfen zu wollen – vor allem, weil diese ja bei den Betrieben gar nicht ankommt. Wie in der Corona-Pandemie sollte es für die betroffenen Energie-Firmen steuerfinanzierte Kredite geben, die anschließend zurückgezahlt werden müssen – das wäre gerechter. Bei der Lufthansa-Rettung gab es ja auch keine Umlage auf Flugtickets, die dann zum Beispiel Ryanair zugute gekommen wäre.

Unabhängig von der Umlage steigen die Preise für Gas und Strom. Welche Betriebe sind besonders betroffen?

Zuerst natürlich das Lebensmittelhandwerk, Bäcker und Metzger etwa, die mit viel Energieeinsatz kühlen und heizen müssen, ebenso Textilreiniger und Zulieferer. Aber auch ein KFZ-Mechatroniker will nicht in einer kalten Werkstatt stehen. Indirekt ist aber auch das Baugewerbe betroffen: Ziegel zum Beispiel werden mit Gas gebrannt und müssen transportiert werden.

Werden die Probleme existenziell?

Das Lebensmittelhandwerk kann die Preise weitergeben – allerdings kostet die Breze dann statt 80 Cent 85. Beim Bau konnten solide wirtschaftende Betriebe durch die gute Auftragslage in den vergangenen Jahren ein gewisses Polster aufbauen, von dem sie jetzt zehren. Wenn aber für die Bauleistungen eine Preisbindung vereinbart wurde, ist die Baustelle jetzt für die Betriebe ein Minus-Geschäft.

Merken Sie, dass sich die Menschen, auch wegen der steigenden Zinsen, den Bau nicht mehr leisten können?

Viele Menschen merken jetzt, dass ihnen die Finanzierung aus dem Ruder läuft – und sie ihr Grundstück lieber zurückgeben. In manchen Neubaugebieten haben wir Rücktrittsquoten von 25 Prozent.

Erwarten Sie vermehrte Insolvenzen?

Für einige Betriebe kann es schwierig werden, weil sie noch aus der Corona-Krise geschwächt sind. Friseure und andere körpernahe Dienstleister haben vielfach ihre Altersvorsorge in den Betrieb gesteckt, um ihn und die Mitarbeiter zu halten. Diese Reserven fehlen jetzt. Aber ein Handwerker wird bis zum Schluss versuchen, seinen Betrieb weiterzuführen.

Braucht es staatliche Hilfen?

Wir brauchen bessere Prognosen was auf die Betriebe zukommt – und weniger Belastungen. Neben der Gas-Umlage nenne ich die Energiepreis-Pauschale von 300 Euro, die die Arbeitgeber jetzt auszahlen müssen: Das ist ein Wust von Bürokratie und kostet viel Zeit und Geld. Wir müssen ja überprüfen, wer berechtigt ist, und wer nicht, also auch Minijobber und Saisonarbeiter. Und das Geld können die Betriebe sich erst mit der nächsten Sozialabgaben-Abrechnung zurückholen.

In Ostdeutschland haben Handwerkskammern gefordert, die Sanktionen gegen Russland einzuschränken. Wie ist Ihre Position?

Als Bayern, Deutsche und Europäer müssen wir solidarisch zusammenstehen. Ich halte nichts davon, Einzelmaßnahmen zu überprüfen, die das Handwerk eventuell stärker belasten.

Sparen ist das Gebot der Stunde. Wo gibt es Potenziale im Handwerk?

Grundsätzlich verschwendet kein Handwerker Energie, das ist unwirtschaftlich. Man kann etwa bei der Beleuchtung einiges machen, Baustrahler durch LEDs ersetzen zum Beispiel, oder akkubetriebene Geräte nutzen. Es ist aber auch so, dass viele Betriebe kürzlich erst von Öl auf Gas umgestellt haben, um Energie zu sparen. Manchmal kann man das rückgängig machen – aber es braucht ein gewisses Volumen, damit sich das lohnt.

Das Handwerk ist im Maschinenraum der Energiewende tätig. Bekommt man wegen des Materialmangels überhaupt einen Termin für den Wärmepumpeneinbau?

Nicht mehr in diesem Jahr. Wir sind da aber stark von Vorprodukten abhängig: Wärmepumpen werden oft in Deutschland gefertigt, die Steuerchips in Taiwan und Solarpanele in China. Wir können also nicht hoffen, dass sich diesen Winter noch viel bewegt. Ab dem kommenden Jahr dürfte es sich aber wieder bessern.

Energiekrise und Wohnungsnot sollen durch den Bau von Windrädern und Häusern gelindert werden. Warum kommen wir nicht voran?

Der größte Hemmschuh ist in beiden Fällen die Genehmigungsbehörde. Beim Bau sind 400 000 neue Wohnungen pro Jahr als Richtschnur gesetzt – man darf sich aber nicht nur die Zahl der Baugenehmigungen anschauen, sondern muss die tatsächlichen Fertigstellungen betrachten. Wenn das Genehmigungsverfahren für ein Mehrfamilienhaus, wie in München, zwei Jahre dauert, dann springen die Investoren ab, weil es unrentabel wäre, das Grundstück so lange vorzufinanzieren. Bei der Windkraft ist es ähnlich: Wir sollen innerhalb eines Jahres bauen – aber allein das ornithologische Gutachten dauert 12 Monate, weil man den Vogelflug so lange beobachten muss. Das passt nicht zusammen. Wir könnten beim Ausbau schneller sein. Die Frage ist aber auch – wo werden Windräder geduldet? Es gibt genug Beispiele, wo Bürgerbeteiligungen die Akzeptanz verbessert haben. Daran muss die Politik arbeiten. Dann könnte man auch mehrere Windräder auf einmal bauen. Das wäre rentabler, weil man zum Beispiel den Spezialkran an einem Einsatzort mehrfach nutzen kann, um die 200 Meter hohen Türme zu bauen. Das würde erheblich Kosten einsparen. Und was man nicht vergessen darf: Wir brauchen Stromnetze, weil uns sonst das beste Windrad nichts nützt. Auch die müssen erst noch gebaut werden.

Zusammengefasst von Matthias Schneider

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