Hannover – Die Landeshauptstadt Niedersachsens ist diese Woche voll im Messefieber: Auf der IAA Transportation stellen Lastwagen- und Busbauer aus der ganzen Welt ihre neuen Fahrzeuge aus. Das große Thema: Elektromobilität. Denn nach den PKWs verschärft die EU auch ihre Grenzwerte für Nutzfahrzeuge, ab 2030 müssen LKW-Hersteller ihre Flottenemissionen um 30 Prozent reduzieren. „Ohne elektrische Fahrzeuge ist das nicht zu schaffen“, sagt MAN-Chef Alexander Vlaskamp. MAN stellte deshalb am Montag auf der IAA den ersten voll fernverkehrstauglichen LKW mit bis zu 600 bis 800 Kilometern Tagesreichweite vor. Gefertigt wird er ab 2024 in München.
Herr Vlaskamp, Sie haben heute einen schweren E-Lastwagen für den Fernverkehr vorgestellt. Haben Sie einen LKW-Führerschein und sind sie ihn schon gefahren?
Natürlich! Im Vergleich zum Diesel ist er viel leiser und komfortabler. Das Drehmoment ist sofort da und es ist wirklich beeindruckend, wie er über 40 Tonnen einfach so wegzieht.
Ihr E-LKW soll 2024 in Serie gehen. Wie hoch wird Ihre Quote an E-LKW dann sein?
Direkt zur Markteinführung ist das schwierig vorherzusagen. Deshalb werden zunächst im Werk München sowohl Verbrenner- als auch Elektrofahrzeuge auf einem Band montiert. Auch im Motorenwerk in Nürnberg werden dann gleichzeitig Dieselmotoren und Batteriepakete gefertigt. So können wir flexibel auf die Nachfrage reagieren. 2030 wird dann voraussichtlich etwa die Hälfte der verkauften LKW elektrisch sein. Wir haben viele Produktionsprozesse umgestellt, unsere Mitarbeiter in München und Nürnberg geschult und machen sind bereit für den Hochlauf.
Mangels Reichweite konnte man mit E-LKWs bisher nur Mülltonnen leeren oder Pakete ausfahren. Was ist mit dem neuen Truck alles möglich?
Alles, vom Verteilerverkehr für Pakete über Müllwagen und Kipper bis hin zum Stahltransport im Fernverkehr. Denn die Tagesreichweite liegt bei bis zu 800 Kilometern, später werden es sogar über 1000 sein. Das Entscheidende ist, dass wir den LKW zusammen mit dem Megawatt-Standard beim Laden einführen. Bisher können LKW nur mit etwa 350 Kilowattstunden laden. Es dauert dann einige Stunden, bis die Batterie voll ist. Beim Megawatt-Laden geht das mehr als doppelt schnell.
Für die Tagesreichweite muss man also nachladen?
Genau. Das ist aber auch praktikabel. LKW-Fahrer müssen in Europa nach 4,5 Stunden hinter dem Steuer ohnehin 45 Minuten Pause einlegen. Mit dem Megawatt-Laden bekommt man – je nach Ladung und Streckenprofil – in dieser Zeit Energie für fast 500 Kilometer Reichweite in die Batterien. Das reicht für die nächste Fahrstrecke und liefert auch die Zusatzenergie, die zum Beispiel Kühllaster oder Betonmischer für den Betrieb ihrer Aufbauten brauchen.
Wie ist das Feedback der Kunden? Wollen viele umsteigen?
Das Interesse ist sehr groß! Viele Konsumenten wollen ja, dass ihre Bio-Milch, ihre Möbel oder ihre Lebensmittel klimaneutral transportiert werden. Bei jedem Kundentreffen werde ich deshalb als Erstes nach E-LKW gefragt. Wir schauen uns dann die Touren der Kunden genau an und versuchen, nicht nur das richtige Fahrzeug zu vermitteln, sondern auch ein Ladekonzept für das Fahrprofil zu entwickeln. Also: Wo und wann lädt man am besten? Muss man Säulen auf dem Hof der Spedition oder an den Laderampen bauen?
Ihre LKW sollen auch im Fernverkehr eingesetzt werden. In Deutschland gibt es bisher aber genau zwei öffentliche Ladesäulen für E-LKW. Das reicht hinten und vorne nicht.
Der Aufbau des Ladenetzes wird Jahre brauchen, weshalb wir unbedingt heute damit starten müssen. Wir beraten daher unsere Kunden entsprechend und statten auch selbst unsere Niederlassungen und Werkstätten mit Ladesäulen aus, die wir dann für Kunden öffnen. Außerdem investieren wir mit der Traton Group in einem Joint-Venture mit Volvo und Daimler 500 Millionen Euro in den Bau von mehr als 1700 Ladestationen entlang der Hauptverkehrsrouten in Europa, von denen jede Station über mehrere Säulen zum Laden der E-Lkws verfügt. Die ersten sollen schon bald aktiv sein. Das ist auch ein klares Signal an die Politik: Wir starten in der E-Mobilität durch, das Stromnetz muss jetzt endlich ausgebaut werden!
Das ist es aber noch nicht. Weshalb?
Wie so oft steckt der Teufel im Detail und unsere Bürokratie macht uns langsam. In den allermeisten Fällen fehlen Genehmigungen, etwa um Rohre und Leitungen im Boden zu verlegen. Außerdem müssen Netze ausgebaut und Trafos aufgerüstet werden.
Sind Sie zuversichtlich, dass sich etwas bessert?
Ja, denn alle wollen. Der Klimawandel ist längst da, die EU hat klare Emissionsvorgaben gemacht und immer mehr Kunden fordern eine klimaneutrale Transportkette. In der PKW-Industrie klappt der Aufbau der Ladestruktur ja auch. Wieso sollte das im LKW-Verkehr dann nicht funktionieren?
Der Branchenverband ACEA fordert 42 000 LKW-Ladepunkte in Europa bis 2030. Ist das Ziel realistisch?
Das klingt nach einer Menge, ist aber zu schaffen. Gemessen an der heutigen Zahl der Zapfsäulen für Diesel sind 42 000 Ladesäulen auch gar nicht so viel, man baut ja immer mehrere Säulen an einer Station. Das Gute ist: Durch die Digitalisierung und die Telematik kennen wir die Routen, die Spediteure fahren, und wissen, wo die Säulen stehen müssen und wie viel Energie man dort braucht. Zusammen mit den Betreibern der Stromnetze und Ladesäulen können wir also sehr gut planen.
Schon jetzt sind viele Rastplätze völlig überfüllt. Wie wird das erst, wenn dort auch noch geladen wird?
LKW-Fahrer müssen in Zukunft wie Flugkapitäne handeln. Die füllen ihre Tanks auch nicht maximal, sondern planen ihren Treibstoffbedarf und ihre Tankzwischenstopps auf den Routen akribisch. Entsprechend müssen auch die Disponenten und LKW-Fahrer im Vorfeld genauer überlegen, welche Stopps sie für welche Routen brauchen und dann dort die benötigten Säulen reservieren. Mit unseren neuen digitalen Plattformen in den Fahrzeugen wird das möglich sein. Mit ihnen kann man sicherstellen, dass die Fahrzeuge möglichst wenig stehen.
Ein E-LKW ist etwa doppelt so teuer wie ein Diesel-LKW. Und gerade explodieren auch noch die Strompreise. Wird die Energiekrise zum Problem für die E-Mobilität?
Im Vergleich zu Diesel ist die Kilowattstunde Strom immer noch günstig. Auch die Kosten für Diesel haben sich schließlich deutlich erhöht. Bald wird außerdem der Emissionshandel auf den Transportsektor ausgeweitet und man muss für jede Tonne CO2 zahlen, die auf der Straße ausgestoßen wird. Das bringt den Dieselfahrzeugen weitere Kostennachteile im Betrieb. Hinzu kommt, dass der Preis für Wind- und Solarstrom durch das Design des Strommarktes im Moment stark vom Gaspreis abhängt. Wäre das nicht der Fall, könnte grüner Strom viel billiger sein. Auch das muss die Politik ändern.
Reicht der Strom für die Elektrifizierung des Güterverkehrs überhaupt aus?
Theoretisch ginge das. Würde man den gesamten Güterverkehr mit grünem Strom elektrifizieren, bräuchte man etwa ein Drittel der in Deutschland erzeugten Windkraft dafür. Aber da ja auch andere Branchen regenerativen Strom benötigen, muss der Ausbau insgesamt vorangetrieben werden.
Die EU verschärft die Emissionsregeln für LKW drastisch. Zwingt sie die Branche zum Umstieg auf E-Fahrzeuge oder ist das eine Herzensangelegenheit?
Die von der EU geforderten 30 Prozent weniger Emissionen bis 2030 sind ohne E-Fahrzeuge nicht zu schaffen. Aber man muss auch sehen: Die LKW-Flotte in Deutschland ist im Schnitt 13 Jahre alt. Auch dort muss die Politik den Hebel ansetzen und neuere und effizientere Fahrzeuge fördern. Da kann man auf einen Schlag viel CO2 einsparen. Hier muss man die Bundesregierung, die eine Abwrackprämie für LKW eingeführt hat, auch einmal loben. Es wäre gut, wenn es so eine Prämie europaweit gäbe. So könnten wir auch ohne E-LKW schon heute unseren Fußabdruck im Transport erheblich senken.
Also keine Herzensangelegenheit?
So war das nicht gemeint. Es ist eine Herzensangelegenheit, denn auch wir sind ein Teil der Gesellschaft und sehen die Folgen des Klimawandels. Das ist eine sehr spannende Zeit für unser Unternehmen und ein riesiger Umbruch. Wir bauen schließlich seit über 100 Jahren Dieselmotoren und starten mit der Präsentation unseres E-Trucks in ein neues Zeitalter.
Scania – wie Sie eine VW-Tochter – will ab 2040 gar keine Verbrenner-LKW mehr verkaufen. Wollen auch sie den endgültigen Abschied vom Verbrenner?
Unser Ziel ist, dass unsere komplette Flotte 2050 klimaneutral ist. Dafür dürfen wir ab 2040 nur noch Fahrzeuge verkaufen, die CO2-frei betrieben werden können. Elektrische Fahrzeuge sind dafür sehr wichtig und stehen bei uns im Fokus. Aber auch synthetische Kraftstoffe und andere CO2-neutrale Antriebe könnten bei einigen Anwendungen eine Rolle spielen.
Interview: Andreas Höss