Je kälter der Winter, desto schwerer die Krise

von Redaktion

INTERVIEW Ökonom Carsten Mumm über knappes Gas und die Zwänge der Notenbanken

München – Heute wird die US-Notenbank Fed ihren nächsten Zinsschritt bekannt geben. Auch in Deutschland wird man genau darauf achten, was die Amerikaner machen. Warum das so ist, weshalb eine Wirtschaftskrise in Deutschland bevorsteht und was wir tun müssen, um unseren Wohlstand zu erhalten, erklärt der Chefvolkswirt Carsten Mumm von der Privatbank Donner & Reuschel.

In den USA wird gerade über die nächste Zinserhöhung getagt. Wie hoch wir sie ausfallen?

Die hohe Inflation hat sich in den USA durch alle Wirtschaftsbereiche gefressen. Deshalb wurde schon über eine Zinserhöhung von einem Prozentpunkt auf 3,5 Prozent spekuliert. Die US-Notenbank hat zwar gesagt, dass sie auch eine wirtschaftliche Abschwächung in Kauf nimmt, um die Inflation wieder einzufangen. Doch einen so riesigen Schritt, den es in der gesamten US-Wirtschaftsgeschichte auch noch nie gab, wird sie meiner Meinung nach mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen trotzdem nicht wagen. Ich gehe von 0,75 Prozent aus.

Warum ist es für Deutschland überhaupt wichtig, wie sich die US-Zinsen entwickeln?

Aus zwei Gründen. Der erste ist, dass Deutschland eine Exportnation ist und die USA kaufen noch mehr Waren als China von uns. Schwächt sich die US-Wirtschaft wegen der restriktiven Geldpolitik dort ab, trifft das die deutschen Unternehmen stark.

Und der zweite Grund?

Auch die Geldpolitik in Europa orientiert sich an den USA. Weil dort die Zinsen viel höher sind, ist der Euro im Vergleich zum Dollar gerade sehr schwach. Das hat die Europäische Zentralbank (EZB) zwar lange in Kauf genommen, weil er europäische Waren in Übersee billiger macht und so Europas Wirtschaft anschiebt. Im Moment fällt dieser positive Effekt aber weg, wir können wegen Materialmangel und Lieferengpässen gar nicht so viel verkaufen, wie wir wollen. Stattdessen macht ein schwacher Euro in Dollar gehandelte Energie gerade teurer und erhöht so die Inflation weiter.

Das bedeutet?

Die EZB kann also im Grunde gar nicht anders, als die Zinsen ebenfalls stark anzuheben – auch, wenn das die Wirtschaft in Europa zusätzlich belastet. Sie hat auch schon klargemacht, dass sie das tun wird.

Das klingt nicht gut. Mit der Energiekrise steckt Deutschlands Wirtschaft ohnehin in einer sehr schwierigen Lage. Lässt sich eine Rezession noch vermeiden?

Nein, die Rezession ist so gut wie sicher. Und es wird auch wieder mehr Insolvenzen bei uns geben. Das Wachstum in China ist schwach, in den USA ist die Rezession wohl schon da, in der Eurozone streichen die Unternehmen wegen der steigenden Energiepreise ihre Investitionen zusammen und die Konsumenten fangen an, sich einzuschränken. Man merkt das zum Beispiel im Supermarkt, wo teure Bio-Lebensmittel weniger gekauft werden. Die Leute halten ihr Geld also langsam zusammen. Die Frage ist jetzt nur, wie hart die Krise ausfällt.

Sagen Sie es uns!

Auch wenn es blöd klingt: Das hängt davon ab, wie kalt der Winter wird. Denn davon hängt wiederum ab, wie knapp Gas wird. Die Industrie hat ihren Gasverbrauch schon stark reduziert, jetzt müssen die Bürger sich einschränken. Je weniger kalte Tage es gibt, desto leichter wird das.

Also kalt duschen und drinnen Pulli tragen, wie es Wirtschaftsminister Robert Habeck fordert?

Ich bin skeptisch, ob diese Appelle ausreichen. Wenn die Menschen Gas sparen sollen, müssen sie im Geldbeutel spüren, wie wichtig dieses Gut gerade ist. Deshalb ist es auch zentral, dass es keinen pauschalen Preisdeckel für Gas gibt. Der Staat sollte nur jene Bürger und Unternehmen durch direkte Transfers unterstützen, bei denen es um die Existenz geht.

Vor Kurzem hätte sicher niemand gedacht, dass wir wegen einer Krise die Heizung runterdrehen müssen. Ohnehin stehen viele Dinge infrage, die lange als garantiert galten. Stecken wir in einer Zeitenwende?

So ist es. Die gute alte Zeit ist vorbei, wir müssen uns wohl von vielen Gewissheiten und Gewohnheiten verabschieden. Die Friedensdividende in Europa ist weg, wir kriegen kein günstiges Gas mehr. Wir haben wieder eine tendenzielle Blockbildung und damit eine diffuse Bedrohungslage. Wegen dem Klimawandel müssen wir unsere Wirtschaft dekarbonisieren und auf erneuerbare Energien setzen. Und unsere Gesellschaft altert und es fehlen Fachkräfte. Man könnte diese Liste fortsetzen.

Mit dem Ende der Globalisierung zum Beispiel?

Ein sehr wichtiger Punkt. Deutschland hat da in den letzten Jahrzehnten das letzte Quäntchen herausgequetscht und stark von globalen Lieferketten und globalen Absatzmärkten profitiert. Das wird sich ändern. Nicht nur wegen Handelskonflikten, gerissenen Lieferketten und dem Ukraine-Krieg, sondern auch weil sich China mehr auf seine Binnenwirtschaft konzentriert, um die Abhängigkeit vom Westen zu verringern. Damit muss auch Deutschland sein Geschäftsmodell anpassen.

Geht das denn?

Ja, wenn wir zum Beispiel Lieferketten breiter aufstellen. Es wird weiter globale Arbeitsteilung geben. Vielleicht müssen wir aber manche Produktion, die wir aus Kostengründen nach Asien verlagert haben, wieder zurück nach Europa holen. Grundsätzlich ist das möglich, da wir durch Robotik und Automatisierung nicht mehr so sehr auf billige Lohnkosten angewiesen sind. Insgesamt müssen wir in Europa enger zusammenrücken, etwa bei der Sicherheitspolitik. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Ist das eine Bedrohung unseres Wohlstandes? Oder eine Chance?

Beides. Klar ist: Wir müssen uns bewegen, weil sich die Welt um uns herum wandelt. Wir werden unsere Energieversorgung umbauen und unser Verhältnis zu China ändern müssen. Der Schlüssel dafür ist, in wichtigen Technologien wie Automatisierung, Robotik, künstliche Intelligenz, Blockchain, aber auch erneuerbare Energien und Kreislaufwirtschaft ganz vorne dabei zu sein. Das kann klappen. In der Grundlagenforschung waren wir schon immer spitze. Nur in profitable Geschäftsmodelle haben das Amerikaner oder Chinesen oft schneller übersetzt. Auch das muss sich ändern. Diesen Wandel dürfen wir jetzt nicht verschlafen, das wäre fatal.

Die Aktienmärkte haben lange von niedrigen Zinsen und der Globalisierung profitiert. Beides fällt nun weg. Stehen uns nun schlechte Aktienjahre bevor?

Kurzfristig gibt es sicher enorme Risiken und manche Firmen werden an diesem globalen Wandel scheitern. Viele Unternehmen werden aber langfristig durch diese Zeitenwende Rückenwind bekommen. Denn die Staaten werden massiv in Klimaschutz, Umweltschutz, Bildung, Infrastruktur, erneuerbare Energien, Rohstoffunabhängigkeit und Techniktrends investieren, was auch gute Geschäfte bedeutet. Jetzt als Anleger den Kopf in den Sand zu stecken, wäre meiner Meinung nach deshalb absolut die falsche Strategie.

Interview: Andreas Höß

Artikel 3 von 7