Die deutsche Wirtschaft steuert wegen steigender Kosten für Energie und gewerbliche Produkte auf eine Rezession zu – und eine Lohn-Preis-Spirale, warnt Prof. Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft im Gastbeitrag. Angesichts dieser Ausgangslage seien jetzt die Gewerkschaften in der Pflicht, schreibt der Chef des arbeitgebernahen Instituts. der deutschen Wirtschaft
Die Energiekrise und ihre Folgen sind die beherrschenden Themen der Stunde. Als Folge der explodierenden Preise für Gas, Strom und Öl verteuern sich Rohstoffe, Vorprodukte und andere gewerbliche Produkte. Das Statistische Bundesamt meldet Inflationsraten, die an den Ölpreisschock der 1970er Jahre erinnern und darüber hinausgehen. In dieser Gemengelage fordern Gewerkschaften hohe Lohnsteigerungen – und bekennen aber gleichzeitig, dass die Herausforderungen nicht von den Tarifparteien allein gelöst werden kann. Zu den Anspannungen in Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine kommt, dass viele Unternehmen immer noch mit den Folgen der Corona-Pandemie kämpfen, offene Stellen nicht besetzen können und so mit dem demographischen Wandel kämpfen. Als recht sicher gilt, dass sich die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr in einer Rezession befinden wird. Die Bundesbank rechnet mit einem deutlichen Abschwung im vierten Quartal dieses Jahres und im ersten Quartal 2023, darüber hinaus erwartet sie Inflationsraten von zehn und mehr Prozent. Hohe Lohnabschlüsse können sie weiter befeuern, eine Preis-Lohn-Preis-Spirale droht.
In dieser schwierigen Situation können – anstatt die Kostentragfähigkeit der Unternehmen überfordernde tabellenwirksame Tarifabschlüsse zu riskieren – steuer- und beitragsfreie Einmalzahlungen der Joker sein, der eine weitere Verschärfung der Teuerung zumindest abzubremsen hilft.
Die Bundesregierung will diesen Weg ebnen, bei Sonderzahlungen von bis zu 3000 Euro verzichtet der Bundesfinanzminister in diesem und im kommenden Jahr auf Steuer- und Sozialabgaben. Ein Vollzeitarbeitnehmer mit einem durchschnittlichen Bruttojahresgehalt von 49 200 Euro hätte bei einer steuerfreien Einmalzahlung in Höhe von 3000 Euro ein Lohnplus von 6,1 Prozent, bei 1500 Euro Einmalzahlung wären es immer noch gut drei Prozent.
Aus Unternehmenssicht hat das Instrument Charme: Die Lohnkosten steigen nicht dauerhaft. Gleichzeitig sinkt das Risiko, dass steigende Lohnstückkosten die Preise auf breiter Front in die Höhe treiben und den geldpolitischen Restriktionskurs der Europäischen Zentralbank verschärfen.
Zur Erinnerung: Nach dem ersten Ölpreisschock in den 1970er Jahren kam es aufsetzend auf bereits zuvor kräftig gestiegene Lohnstückkosten zu einer Lohn-Preis-Spirale, die nur durch entschiedenes Eingreifen der Bundesbank gestoppt werden konnte, worunter damals die Konjunktur litt – eine Stabilisierungsrezession trat ein.
Gewerkschaften in der Pflicht Es ist jetzt Sache der Tarifpolitik, den Ball aufzunehmen und zu verhindern, dass sich insoweit die Vergangenheit wiederholt. Gewerkschaften haben die undankbare Aufgabe, den Wohlstandsverlust, der durch die hohen Energiepreise entsteht, nicht auf Unternehmen abzuwälzen, sondern zu akzeptieren. In schwierigen Zeiten müssen alle an einem Strang ziehen.
MICHAEL HÜTHER