Birmingham – Angesichts heftiger parteiinterner Kritik hat die neue britische Premierministerin Liz Truss gleich zu Beginn ihrer Amtszeit eine krachende Kehrtwende hingelegt. Nachdem mehrere Abgeordnete ihrer Konservativen Partei gedroht hatten, gegen die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes für Topverdiener zu stimmen, nahm Finanzminister Kwasi Kwarteng das Vorhaben zurück. „Wir haben es verstanden, wir haben zugehört“, teilte er vom Tory-Parteitag in Birmingham aus mit.
Die Märkte reagierten positiv, das zuletzt stark unter Druck geratene Pfund schoss in die Höhe. Doch die Auswirkungen für Truss, die noch am Vorabend ihre Pläne verteidigt hatte, könnten verheerend sein. „Ihre Kritiker, von denen es viele gibt, erhalten die Botschaft, dass andere unpopuläre Maßnahmen – etwa Kürzungen der öffentlichen Ausgaben – ebenfalls über den Haufen geworfen werden können“, kommentierte der Sender Sky News.
Der Politologe Mark Garnett nannte die Kehrtwende „die demütigendste Entscheidung“ einer britischen Regierung seit Jahrzehnten. „Großbritannien steht nun einer verlängerten Phase wirtschaftlicher Stagnation gegenüber und das mit einer Regierung, deren Reputation bereits irreparabel zerstört wurde“, sagte Garnett. Ein Parteitagsbesucher mit guten Verbindungen in die Tory-Fraktion sagte, die Abgeordneten seien zutiefst verunsichert. „Sie trauen sich nicht, die Regierungslinie öffentlich zu verteidigen, weil sie fürchten müssen, dass die Linie sich über Nacht ändert“, sagte der Mann.
Finanzminister Kwarteng hatte vor gut einer Woche angekündigt, den Spitzensteuersatz für Jahreseinkommen von mindestens 150 000 Pfund (172 000 Euro) von 45 auf 40 Prozent zu senken. Nach der Ankündigung der über Schulden finanzierten Pläne rauschte der Pfund-Kurs in den Keller.
Die britische Notenbank sah sich gezwungen, einzuschreiten und Staatspapiere mit langer Laufzeit zu erwerben – ohne Obergrenze. Mehrere prominente Mitglieder der Tory-Partei wie die Ex-Minister Michael Gove und Grant Shapps kritisierten die Steuererleichterungen für Wohlhabende in Zeiten von steigenden Lebenskosten scharf und deuteten an, im Parlament dagegen zu stimmen. An anderen, ebenfalls umstrittenen Teilen des Wirtschaftsplans will Kwarteng aber festhalten. dpa