Unterföhring – Im deutschen Fernsehmarkt vollzieht sich eine Umwälzung. Das Privatfernsehen muss sich heute nicht mehr nur mit den öffentlich-rechtlichen TV-Programmen messen. Netflix, Amazon, Disney und Apple sind die weltweite Streaming-Konkurrenz, die sich hierzulande breit macht. RTL und ProSiebenSat.1 müssen in hohem Tempo ins digitale Streaming-Geschäft, das für sie noch länger keine Gewinne abwerfen wird, investieren. Beide börsennotierten Firmen sitzen im gleichen Boot. Doch es läuft gerade nicht überall glatt.
Bei der Werbung, mit denen TV-Unternehmen klassisch Erlöse erzielen, gibt es eine Flaute. Die aktuellen Krisen machen der deutschen Wirtschaft zu schaffen. In Unterföhring kommt es nun sogar zu einem Chefwechsel.
Rainer Beaujean, Vorstandsvorsitzender von ProSiebenSat.1, räumt seinen Posten überraschend (wir berichteten gestern kurz). Der TV-Konzern in Unterföhring bei München wird künftig von dem Ex-RTL-Manager Bert Habets geführt. Jahrzehnte war der 51-Jährige an wichtigen Stellen beim Konkurrenten tätig, baute etwa den RTL-Streamingdienst Videoland in den Niederlanden auf.
Habets, der bis zu seinem Weggang vor einigen Jahren zeitweise den Chefposten der RTL Group in Luxemburg innehatte und seit Mai auch im Aufsichtsrat von ProSiebenSat.1 sitzt, ersetzt nun den Finanzexperten Beaujean. Dieser war als Finanzchef in einer unruhigen Zeit zunächst als Vorstandssprecher eingesprungen, als Konzernchef Max Conze 2020 seinen Hut nahm. Der genaue Grund, warum Beaujean jetzt geht beziehungsweise gehen muss, wurde nicht bekannt.
Dabei hatte ProSiebenSat.1 mit einem Jahresumsatz von 4,5 Milliarden Euro in 2021 und 7800 Mitarbeitern zuletzt ein positives Signal in den Markt gesendet. Bislang hält der Konzern die Hälfte der Anteile an der Streaming-Plattform Joyn, künftig will er alle haben. Joyn ist so etwas wie das Herzstück – zuletzt war die Rede von vier Millionen sogenannten Unique Usern im Monat, also einzelnen Nutzern. Man setzt auf Unterhaltung und will jüngere Leute im Netz erreichen. Live, lokal und auf den deutschen Markt spezialisiert.
Das Bewegtbildsegment soll mit anderen Unternehmensbereichen stärker verknüpft werden -– etwa mit Handel oder Communities. Nicht alles läuft indes im Konzern wie geplant: Ein möglicher Börsengang des Online-Dating-Spezialisten Parship wurde schon länger auf Eis gelegt.
Auf Nachfrage teilte eine Konzernsprecherin zu dem Wechsel an der Führungsspitze mit, Aufsichtsratschef Andreas Wiele habe zu verstehen gegeben, dass die Berufung von Habets in keiner Weise mit einem möglichen Einfluss des italienischen Medienkonzerns Media for Europe (MFE) in Verbindung stehe.
Das TV-Unternehmen von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, das einen hohen Aktienanteil an ProSiebenSat.1 hält, sprach immer wieder von einem europäischen Senderverbund –- konkret wurden Pläne bislang nicht. Das Verhältnis zwischen beiden Medienhäusern gilt als eher kühl. Unlängst teilte MFE mit, seine Präsenz in Deutschland mit einem eigenen Büro in München zu verstärken.
Die RTL Group, die 2021 einen Jahresumsatz von 6,6 Milliarden Euro erzielte, machte wiederum zu Wochenbeginn bekannt, dass sie ihre Anteile an der französischen TV-Gruppe M6 behalten wird. RTL, größter Umsatzbringer im Bertelsmann-Portfolio, setzt damit auch das Zeichen: Man hält an der eigenen Streaming-Strategie für Europa fest. Bertelsmann- und RTL-Chef Thomas Rabe will etwa durch Zusammenschlüsse starke Bewegtbildunternehmen schaffen, um im jeweiligen nationalen Markt Netflix und Co. etwas entgegenzusetzen. ANNA RINGLE