Bayerns Wirtschaft fürchtet um die Existenz

von Redaktion

VON CORINNA MAIER UND ANDREAS HÖSS

München – Der rapide Anstieg der Gas- und Strompreise trifft die bayerische Wirtschaft ins Mark. „Der Druck ist immens“, erklärt vbw-Hauptgeschäftsführer Ber-tram Brossardt. Viele Unternehmen fürchten Strom-Blackouts und Gasmangel. Weil immer mehr Betriebe wegen hoher Energiepreise ihre Produktion drosseln, kommt es auch innerdeutsch zu Lieferkettenproblemen – es fehlt der Nachschub. Das Münchner Ifo-Institut erwartet, dass deutsche Firmen künftig vermehrt im Ausland investieren. Das Thema Standortverlagerung ist auch nach Brossardts Erfahrung wieder auf die Tagesordnung gekommen. Vom Blumengeschäft bis zum Bäcker würden zudem Betriebsaufgaben zunehmend zur Option.

Jeder fünfte Industriebetrieb in Bayern wolle seine Kapazitäten ins Ausland verlagern oder hat das bereits getan, berichtet Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer des bayerischen Industrie- und Handelskammertages. „Wir sehen, dass die Deindustrialisierung bereits im Gange ist.“

Wie beide Verbandschefs feststellen, braucht die heimische Wirtschaft schnelle und massive Hilfe. Alle verfügbaren Energiequellen müssten reaktiviert und genutzt werden. „Die drei Kernkraftwerke müssen im Dauerbetrieb weiterlaufen“, fordert Brossardt. Zudem müssten die Kohlekraftwerke schneller wieder ans Netz. Die vom Bund bisher angekündigten Maßnahmen zur Senkung der Strom- und Gaspreise müssten sofort umgesetzt werden. Die staatlichen Kostenanteile, etwa die Energiesteuer, müssten gesenkt und Steuervorauszahlungen von Unternehmen ausgesetzt werden. Dabei gehe dem Staat kein Geld verloren, es handele sich nur um eine zeitliche Verschiebung.

Mit ihren Warnungen ist die bayerische Wirtschaft nicht allein. Durch die Energiekrise steht der gesamte Industriestandort Deutschland zur Disposition, in zehn Jahren werde man die aktuelle Situation „als Ausgangspunkt für die beschleunigte Deindustrialisierung in Deutschland betrachten“, schrieb etwa die Deutsche Bank vor wenigen Tagen in einer Analyse. „Wenn die Energiepreise nicht deutlich sinken, gehen spätestens in sechs Monaten bei zehntausenden Betrieben hierzulande die Lichter aus“, sagte DIHK-Präsident Peter Adriander „Rheinischen Post“.

Warum es Bayern besonders hart treffen könnte, liegt an der Branchenstruktur, von der das stolze Bundesland bisher profitiert und die seinen Einwohnern viel Wohlstand beschert hat. Gut 1,3 Millionen Erwerbstätige in Bayern arbeiten in der Industrie, die mit Unternehmen wie Siemens, den Fahrzeugbauern BMW, Audi und MAN oder dem Autozulieferer Scheffler die größten Arbeitgeber im Freistaat stellt. Auch Chemiekonzerne wie Knauff und Wacker oder Maschinenbauer wie MTU, Krones oder Kuka sind hier stark vertreten. Das Problem: Gerade diese besonders energiehungrigen Branchen fragen sich nun, wie sie an bezahlbare Energie kommen sollen. Dabei geht es nicht nur um Gas und fossile Energieträger wie Öl oder Kohle, die sich enorm verteuert haben und die immer noch für fast zwei Drittel des bayerischen Energieverbrauchs stehen, weil mit ihnen geheizt, gekühlt und befeuert wird. Auch Strom wird immer mehr zum Angstfaktor, gerade in Bayern.

Hier setzte man lange auf Kernkraft, die zeitweise 50 Prozent des Strombedarfs deckte. Mit dem schrittweisen Atomausstieg ging die Stromproduktion aber immer weiter zurück. Dabei versäumte Bayern, die Erneuerbaren Energien konsequent auszubauen und bremste nicht zuletzt die Windkraft mit der Abstandsregel 10H aus. Die Folge: Der einstige Stromexporteur muss heute im großen Stil Strom zukaufen, um seinen Bedarf zu decken. Unbegrenzt ist das aber nicht möglich – nicht nur wegen hoher Preise. Denn auch der Ausbau der Stromtrassen hinkt um Jahre hinterher. Großkonzerne wie Intel oder Tesla siedeln sich deshalb längst lieber in der Nähe der Windparks im Norden Deutschlands an als im Voralpenraum.

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