Immobilien: Deutschland droht der Baustopp

von Redaktion

VON ANDREAS HÖSS

München – Bei fast jedem zweiten Bauunternehmen wurde im September ein Projekt storniert oder verschoben. Das hat eine Umfrage des ifo-Instituts ergeben. Damit schwillt die Stornierungswelle, die sich erstmals im Corona-Jahr 2020 aufgebaut hatte und die nun über Deutschland hinwegrollt, weiter an. Im August hatten 11,6 Prozent der vom ifo-Institut befragten Unternehmen über Stornierungen berichtet, im September waren es 16,7 Prozent. Zum Vergleich: Bis ins Jahr 2019 wurden selbst in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten nur ein bis zwei Prozent der Bauprojekte eingestampft.

Schuld sind laut den Münchner Ökonomen gleich mehrere Belastungsfaktoren: „Aufgrund der explodierenden Material- und Energiepreise sowie der steigenden Finanzierungszinsen ist die Planungssicherheit dahin“, erklärt Wirtschaftsforscher Felix Leiss vom ifo-Institut. Immobilienprojekte seien in den vergangenen Monaten immer teurer und teurer geworden. „Für einige Bauherren ist das alles jetzt nicht mehr darstellbar, sie stellen Projekte zurück oder ziehen ganz die Reißleine.“

Die Stornierungen stellen auch die Wohnbauziele der Bundesregierung in Frage. Sie will jedes Jahr für 400 000 neue Wohnungen sorgen, bis Ende der Legislaturperiode wären es insgesamt 1,6 Millionen. Damit will sie nicht zuletzt in den angespannten Immobilienmärkten beliebter Metropolen bezahlbareren Wohnraum schaffen. In München kostet eine Wohnung mit 75 Quadratmetern laut Engel & Völkers im Schnitt rund 750 000 Euro und damit etwa 50 Prozent mehr also vor fünf Jahren, in Frankfurt liegt die gleiche Wohnung bei 520 000 Euro und ist 60 Prozent teurer.

Das Wohnbauziel der Bundesregierung sei schon unter normalem Umständen sehr ambitioniert gewesen, findet ifo-Forscher Felix Leiss. „In der jetzigen Situation ist es aber völlig unrealistisch.“ Denn: Schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Zum einen meldet rund ein Drittel der Baufirmen Engpässe bei Baumaterialien. Diese Knappheit wird noch länger anhalten. Und auch die hohen Energiekosten und der Fachkräftmangel drohen zum Dauerproblem zu werden.

Zudem berichten die Banken wegen der steigenden Zinsen von weniger Kreditanträgen. „Die Nachfrage ist von einem Tag auf den anderen eingebrochen“, sagte Sparkassenpräsident Helmut Schleweis dem „Handelsblatt“. Die Bauzinsen haben sich in einem Jahr fast vervierfacht. Für Hausbauer bedeutet das, dass sie bei gleichbleibender Tilgung etwa doppelt so hohe Monatsraten wie vor einem Jahr zahlen müssen, wenn sie heute einen Kredit abschließen. Banken müssen seit Kurzem auch höhere Kapitalpuffer für Immobilienkredite vorhalten, was die Vergabe erschwert.

Auf Faktoren wie Materialpreise und Zinsen hat die Politik kaum Einfluss, durch finanzielle Förderungen kann sie die Bautätigkeit hingegen durchaus etwas steuern. Aus Sicht der Baubranche hat sie dem Wohnungsbau dort zuletzt aber eher einen Bärendienst geleistet. Die Ampel will energetische Sanierungen bestehender Gebäude stärker unterstützen, dafür hat sie aber die Förderungen von Neubauten an strengere Klimavorschriften gekoppelt, was Bauprojekte tendenziell verteuert. „Dort gibt es tatsächlich einen Zielkonflikt“, bestätigt ifo-Forscher Felix Leiss. „Die Bundesregierung muss sich entscheiden, ob sie besonders viel bezahlbaren Wohnraum schaffen will oder besonders klimaschonend bauen will.“

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