„China wird früher oder später ein Problem“

von Redaktion

INTERVIEW Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer über Turbulenzen im Reich der Mitte

München – Es war ein regelrechtes Massaker am chinesischen Aktienmarkt: Der CSI-300-Index mit den 300 wichtigsten chinesischen Titeln der Festlandbörsen rauschte gestern 3,2 Prozent in die Tiefe. Noch steiler ging es für den Hang Seng Index der Sonderverwaltungszone Hongkong bergab: Zeitweise lag er fast 10 Prozent im Minus.

Auch an der US-Technologiebörse Nasdaq notierte chinesische Großkonzerne verloren zeitweise drastisch: Pinduoduo – minus 30 Prozent. Alibaba – minus 16 Prozent. Tencent minus 13 Prozent.

Grund für die Talfahrt: Neue Konjunkturdaten. Wie das Pekinger Statistikamt gestern mitteilte, legte das Wachstum im dritten Quartal um 3,9 Prozent zu (linke Grafik). Nach 0,4 Prozent im zweiten Quartal war das mehr als erwartet, allerdings deuteten weitere am Montag veröffentlichte Daten auf eine durchwachsene konjunkturelle Lage hin: Die Exporte legten im September in US-Dollar gerechnet nur um 5,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu, wie der chinesische Zoll mitteilte, die Einfuhren nur um 0,3 Prozent.

Die Erholung der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt steht damit auf wackeligen Beinen. Der Ölpreis re-agierte: Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent mit Lieferung im Dezember kostete gestern am Morgen 92,58 Dollar – 92 Cent weniger als am Freitag (rechte Grafik).

Die Veröffentlichung der chinesischen Wachstumszahlen war vergangene Woche überraschend verschoben worden. Beobachter gingen davon aus, dass die Entscheidung mit dem Kongress der Kommunistische Partei in Peking zusammenhing, der am Samstag endete. Nach Abschluss des Parteitags hatte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping beteuert, die chinesische Wirtschaft sei „widerstandsfähig“.

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, bezweifelt das. Im Interview erklärt er, warum China ein langfristiges Wachstumsproblem hat – und welche Folgen das für die deutsche Wirtschaft hat.

Herr Krämer, woran hakt es in China?

Die Wirtschaft ist im dritten Quartal um starke 3,9 Prozent gewachsen. Aber das ist nur eine Gegenbewegung zum schwachen zweiten Quartal. Alles in allem ist das Wachstum Chinas niedrig.

Was sind die Ursachen für die Wachstumsschwäche?

Das liegt zunächst an der Null-Covid-Politik.

Zentrales Problem dürften geschlossene Häfen sein, da dadurch Lieferketten aus dem Takt kommen.

Nicht nur. Geschlossene Häfen sind nur eines von vielen Problemen. Wenn Städte ganz oder teilweise abgeriegelt werden, können die Leute nicht raus und damit auch nicht einkaufen. Das erklärt, warum der Konsum in China so schwach ist. Aber auch viele Firmen leiden und stellen nur noch zurückhaltend ein, bei jungen Menschen steigt die Arbeitslosigkeit.

Ist die Null-Covid-Politik das einzige Problem?

Nein. Hinzu kommt die Krise der Immobilienwirtschaft. In den zurückliegenden Jahren hatten sich viele Immobilienentwickler hoch verschuldet, die Regierung ist daher bei der Kreditvergabe auf die Bremse getreten. Seitdem fahren die Entwickler ihre Geschäfte zurück. Selbst Eigentumswohnungen, die bereits von den Kunden bezahlt wurden, bauen sie häufig nicht zu Ende. Die Krise der Immobilien- und Bauwirtschaft zieht die ganze chinesische Wirtschaft nach unten, weil sie für rund ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung steht.

Internationale Investoren ergreifen die Flucht, chinesische Aktien gehen auf Talfahrt. Ist der chinesische Traum ausgeträumt?

Das wäre übertrieben. Aber das Wachstumsmodell funktioniert nicht mehr so, wie es vor Jahren der Fall war.

Was lief früher anders?

Wir haben jetzt eine Dominanz politischer Interessen über wirtschaftliche Interessen – früher war das umgekehrt. Darunter leidet die Effizienz, die Zeiten hoher Wachstumsraten sind vorbei. Aber die Chinesen sind fleißig, sie legen großen Wert auf Bildung und sparen viel. Der wirtschaftliche Aufholprozess Chinas ist nicht gänzlich gestoppt, er verläuft nur viel langsamer, als sich das internationale Investoren noch vor ein paar Jahren erhofft hatten.

Hinzu kommt der Konflikt mit Taiwan, der in einem Krieg enden könnte.

Das ist ein langfristiger Risikofaktor. Aber gegenwärtig wird das Wachstum vor allem durch die Null-Covid-Politik und die Krise der Immobilienwirtschaft ausgebremst.

Teure Energie ist weiterhin kein Thema in China?

Zwischenzeitlich war Energie knapp, Fabriken mussten ihre Produktion runterfahren. Aber eine Gaskrise wie bei uns droht in China nicht.

Was bedeutet das alles für Deutschland?

Nichts Gutes – denn die politische Rivalität zwischen dem Westen und China wird weiter zunehmen, die Handelsbeziehungen in der Folge abnehmen. Die USA werden den Handel nutzen, um den wirtschaftlichen, politischen und militärischen Aufstieg Chinas zu bremsen. Das wird früher oder später ein Problem für die deutsche Wirtschaft. Sieben Prozent unserer Exporte gehen nach China – so viele wie in die USA.

Womit müssen Aktien-Anleger rechnen?

Die Dax-Unternehmen machen rund ein Fünftel ihrer Gewinne mit China. Aber aktuell ist das beherrschende Thema an den Märkten die Furcht vor Inflation und Rezession. China ist mehr ein Hintergrundthema, das uns aber noch viele Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte begleiten wird.

Interview: Sebastian Hölzle

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