Milliardengewinne trotz Rezession

von Redaktion

VON JÖRN BENDER

Frankfurt – Ukraine-Krieg, Energiekrise, Rekordinflation, drohende Rezession – das Umfeld ist alles andere als günstig. Doch noch wächst die deutsche Wirtschaft und nicht wenige Konzerne fahren Milliardengewinne ein. Klingt paradox, doch es gibt Erklärungen.

Wirtschaftswachstum in der Krise – wie geht ?

Im dritten Quartal überraschte die deutsche Wirtschaft positiv: Statt des von vielen Ökonomen erwarteten Rückgangs der Wirtschaftsleistung legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,3 Prozent zum Vorquartal zu. Getragen wurde das Wachstum einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamtes zufolge vor allem vom privaten Konsum. Der Wegfall von Corona-Einschränkungen kurbelte das Geschäft von Hotels und Gaststätten an, die Veranstaltungsbranche kam wieder in Schwung.

Wie ist die Stimmung in den Unternehmen?

„Es wird regelmäßig der Untergang des Industriestandorts Deutschland verkündet“, schrieb der Bonner Wirtschaftsprofessor Moritz Kuhn jüngst auf Twitter. „Nur geben es die Daten nicht her.“ Er halte die Trivialisierung zum Beispiel auf Twitter und in Talkshows „für äußerst gefährlich“, sagt Kuhn auf Nachfrage: „Da werden oft Zahlenreihen ohne Kontext und Referenzpunkt nebeneinander gelegt.“ Eine Umfrage des Münchner Ifo-Instituts zum Beispiel ergab, dass sich Unternehmen in Summe derzeit deutlich weniger Sorgen um ihre Existenz machen als während der Corona-Krise. Den Ende Oktober veröffentlichten Daten zufolge sehen 7,5 Prozent der Betriebe ihre Existenz bedroht. Im Juni 2020 waren es 21,8 Prozent. „Angesichts der kräftigen konjunkturellen Abkühlung zeigen sich die Unternehmen sehr robust“, bilanzierte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Für Deutschlands Maschinenbauer werden rasant gestiegene Preise etwa für Erdgas und die Schwierigkeiten bei der Energieversorgung zwar zunehmend zur Belastung. Einer im September veröffentlichten Umfrage des Branchenverbandes VDMA zufolge gibt es jedoch bis dato bei rund 90 Prozent der Unternehmen keine Einschränkungen in der Produktion. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) erwartet angesichts voller Auftragsbücher ein Produktionsplus von einem Prozent im laufenden Jahr. Der VDMA-Umfrage zufolge rechnen drei von vier Unternehmen 2022 mit einem nominalen Umsatzwachstum.

Wieso verdienen manche Konzerne mitten in der Krise Milliarden?

„BP im Ölrausch“, „Krise? Nicht bei der Deutschen Bank“, „Lufthansa rechnet mit Milliardengewinn“ – für viele Unternehmen läuft es gerade richtig gut. Der britische Energieriese BP partizipiert an hohen Ölpreisen infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Die Deutsche Bank hat mit einem Konzernumbau schon vor Jahren die Weichen auf Wachstum gestellt und profitiert aktuell zusätzlich von steigenden Zinsen. Bei der zwischenzeitlich mit staatlichen Milliarden gestützten Lufthansa wächst dank kräftiger Ticketnachfrage und einem überaus profitablen Frachtgeschäft die Zuversicht. Dass viele Unternehmen auf Rekordkurs sind, erstaunt EY-Partner Mathieu Meyer nicht: Die Auftragsbücher seien voll, die Kaufkraft der Verbraucher nach den Corona-Beschränkungen sei groß. „Und damit gelingt es Unternehmen erstmal, Preissteigerungen durchzusetzen. Die Nachfrageseite ist noch recht robust“, sagt der Unternehmensberater. Zwar dürften 2023 sinkende Kaufkraft und steigende Kreditzinsen für Eintrübung sorgen. „Aber aus Gesprächen mit Unternehmen nehme ich mit, dass keine komplette Krise zu erwarten ist“, sagt Meyer.

Ist die aktuelle Lage nur so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm?

So zumindest schätzt es Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer ein: Die rekordhohe Inflation lasse „die Kaufkraft der Konsumenten kollabieren“. Für ein Schrumpfen des BIP im vierten Quartal spreche zudem, dass Unternehmen sich wegen steigender Unsicherheit mit Investitionen zurückhalten dürften. Im Bundesbank-Monatsbericht Oktober heißt es: „Im gerade begonnenen Winterhalbjahr werden die Abwärtskräfte voraussichtlich deutlich zunehmen.“ Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) brachte eine Umfrage unter über 24 000 Betrieben auf den Nenner: „Das Schlimmste kommt noch“.

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