München – Wacker Chemie ist in Europa der wichtigste Hersteller von Polysilicum, die Basis von Photovoltaik-Modulen und Halbleitern. Doch die strategisch bedeutsame Industrie wird von der fossilen Energiekrise bedroht. Bei Wacker will man aber nicht klein beigeben: Wie der Standort Bayern erhalten werden – und der Konzern profitabel bleiben kann – erklärt Stefan Henn, Energieverantwortlicher für das Burghausener Werk, im Interview.
Herr Henn, wie viel Energie braucht Wacker in Burghausen jedes Jahr?
Knapp drei Terawattstunden Strom und 3,7 Terawattstunden Erdgas. Das entspricht dem Verbrauch von gut 900 000 beziehungsweise 280 000 Haushalten. Der benötigte Strom fließt vor allem in die Produktion von Polysilicium, das für Photovoltaik-Module und Halbleiter benötigt wird.
Wie hoch sind Ihre Mehrkosten?
Der Marktpreis für Gas lag vor der Krise über viele Jahre hinweg bei 20 bis 30 Euro pro Megawattstunde und hat sich um den Faktor fünf bis zehn verteuert, auch beim Strom sind es mehrere Faktoren. Weil wir langfristig einkaufen, spüren wir nicht die volle Härte der Marktpreissteigerung. Über längere Zeit sind diese Kosten aber nicht marktfähig. Um Ihnen ein Gefühl für die Größenordnung der Auswirkungen zu geben: Bei Wacker rechnen wir für dieses Jahr wegen der Mehrkosten für Energie, Rohstoffe und Logistik mit einer Ergebnisbelastung von bis zu 1,5 Milliarden Euro.
Welchen Preis bräuchte es?
Als international wettbewerbsfähig gilt ein Preis von vier Cent pro Kilowattstunde, wobei diese Zahl fließend ist und von den Preisen in den Wettbewerbsländern abhängt.
Wie ist der internationale Vergleich?
Unsere Wettbewerber sitzen vor allem in Asien und den USA. Dort liegen die Stromkosten um ein Mehrfaches unter dem deutschen Niveau.
Wird die nächste Anlage also nicht in Bayern gebaut?
In der Chemieindustrie laufen Anlagen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Wir schauen also auf die langfristigen Entwicklungen und investieren auch laufend am Standort Burghausen. Klar aber ist: Wenn die Preise hierzulande so hoch bleiben, fallen wir im Wettbewerb ab. Das heißt: Mittel- bis langfristig könnten wir dann nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren. Ich bin aber optimistisch, dass wir gemeinsam auch in Deutschland konkurrenzfähige Preise erreichen können. Dazu muss die Politik jetzt aber in den Umsetzungsmodus kommen und handeln.
Wie können die Preise sinken?
Wir brauchen einen erheblichen Zubau an Erneuerbaren Energien, um das Angebot zu erhöhen. Damit einher gehen muss ein Ausbau der Infrastruktur. Das Stromnetz in der Region ist ausgelastet, wir werden künftig im Zuge der Transformation hin zur Klimaneutralität und der damit verbundenen Elektrifizierung aber deutlich mehr Strom benötigen. Deshalb müssen unter anderem die Trassen aus dem Norden schnell gebaut werden, um etwa den norddeutschen Windstrom in die Region zu bekommen. Gleichzeitig brauchen wir zusätzliche leistungsstarke Leitungen nach Burghausen – und das muss schnell gehen.
Weshalb?
Bei den Netzentwicklungsplänen wird bislang nur der kurzfristig erwartete Bedarf berücksichtigt. Es ist den Netzbetreibern verboten, heute die Leitungen zu planen, die wir langfristig brauchen. So schaffen Sie aber keine Transformation, wir brauchen ganz andere Planungswerkzeuge.
Was ist mit Wasserstoff?
Einen Teil unseres Erdgases verwenden wir stofflich. Das heißt, dieses Erdgas wird nicht verbrannt, sondern dient zum Beispiel für die Herstellung von Wasserstoff. Künftig benötigen wir grün hergestellten Wasserstoff, der über eine Pipeline beliefert wird. Diesen Wasserstoff können wir insbesondere dafür verwenden, um aus CO2 von unvermeidbaren Quellen, das kann zum Beispiel unsere Rückstandsverbrennung sein, Methanol zu erzeugen. Wir bräuchten ab Anfang der 30er-Jahre tausende Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr – diese Mengen kann man aktuell aber nirgendwo kaufen, nicht mal für das Jahr 2030.
Also brauchen Sie weiterhin Erdgas zur Dampferzeugung?
Kurzfristig ja. Wir arbeiten aber an einem System von Hochtemperaturwärmepumpen, mit denen wir das Erdgas schrittweise ersetzen wollen. Es gibt viele Prozesse, in denen wir wärmen und kühlen müssen. Wenn wir die Energie jeweils effizient abschöpfen, können wir das Erdgas wahrscheinlich größtenteils ersetzen und auf diese Art und Weise die Dampferzeugung elektrifizieren.
Das würde enorm viel Geld einsparen.
Das kommt auf den Strompreis an. Die Anlagen sind teuer und benötigen viel Strom. Deshalb sollte es für solche CO2-Reduktionsmaßnahmen eine Förderung der Betriebskosten geben.
Also wieder die Forderung nach einem Industriestrompreis?
Wir bei Wacker sind der einzige nennenswerte Hersteller von Polysilicium in Europa. Wir benötigen zwar viel Strom, doch damit produzieren wir unter anderem die Basis für Solarmodule. Ein modernes Modul benötigt gerade mal ein Jahr, um seine gesamte Produktionsenergie wieder reinzuholen. Sinnvoller geht es aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht. Vor diesem Hintergrund ist ein Industriestrompreis, welcher die Herstellung von notwendigen und ökologischen Produkten in Europa hält, sinnvoll.
Können die Unternehmen sich nicht selbst helfen?
Teilweise schon, das geschieht auch bereits. Wir planen aktuell zum Beispiel die schrittweise Installation großer Photovoltaik-Flächen auf unserem Gelände. Außerdem wollen der Landkreis Altötting und die umliegenden Kommunen bis zu 50 Windräder aufstellen – wir können uns vorstellen, sofern wirtschaftlich darstellbar, dass wir den Strom abnehmen und so für finanzielle Sicherheit sorgen. Außerdem darf man nicht vergessen: Seit 100 Jahren liefert unser Wasserkraftwerk am Alzkanal zuverlässig Strom, heute noch acht Prozent unseres Bedarfs, das entspricht immerhin dem Verbrauch von 90 000 Haushalten. Nichtsdestotrotz muss angesichts unseres hohen Gesamtbedarfs klar sein, dass wir die notwendigen erneuerbaren Energien nicht zur Gänze vor Ort herstellen werden können. Und noch mal: Ein international konkurrenzfähiger Industriestrompreis ist essenziell für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen.
Interview: Matthias Schneider